Kukuruz –
Polenta – Mais
Eigentlich habe ich Nora Aschacher ja erst gestern zum ersten
Mal getroffen. Gestern, knapp vor einem halben Jahrhundert, als wir begannen an
der Jugendsendung „Minibox“ auf Ö3 zu arbeiten. Eine
Sendung für berufstätige Jugendliche sollte es nach dem Willen von Gerd Bachers
erstem Radiodirektor geben, etwas anders als die Musicbox, die schon vom
Sendetermin um 15h nur für Schüler:innen und
Studierende geeignet war. Hubert Gaisbauer suchte ein Team für die neue Sendung
- Nora und ich waren ein Teil davon.
Von
links: Kurt Kletzer, ich, Helmut Waldert, Hubert
Gaisbauer, Nora Aschacher. (Foto:
ORF)
Wieso sie da wegschaut? Wohl ein Zufall, denn als Radiojournalistin genau
hinzuschauen war immer eine ihrer Stärken. Sie wagte es sogar, in die Zukunft
zu schauen und gründete die Sendereihe „Nova – Leben 2000“ lange bevor vom
„Millenniums-Bug“ die Rede war, sie war für das „Radio-Kolleg“ auf Ö1
verantwortlich und als ihre Radiozeit vorbei war, begann der Tanz von neuem:
sie ist Mitbegründerin der Age Company, die das Motto hat: „Tanz macht das Alter besser, aber Alter macht
auch den Tanz besser“.
Auch
gestern war heute
Aber jetzt, viele Jahre nach dem vorher erwähnten „gestern“,
knapp vor der Kukuruz-Ernte in Österreich, möchte ich auf ihr neues großes Werk
hinweisen: ihr Buch „Mensch und Mais“. Und zufällig: beim ersten Aufschlagen
komme ich – und das ist typisch Nora – auf diesen Zwischentitel „Weiter wie
bisher ist keine Option“.
Das galt für die Feministin Nora Aschacher, die
Radiomacherin, die Tanz-Company Gründerin. Und zwei Seiten weiter sind wir
schon in Supermarkts Mais-Universum. Mais befindet sich in 20 000 Produkten ist
da zu lesen. Als Maisstärke oder als Maisfaser in Zahnseide, Propanediol als feuchtigkeitsspendender konservierender
Inhaltsstoff von Kosmetika, Popcorn als Baustoff mit isolierender Wirkung. Ein
paar Seiten später Rezepte: für Maisgrießpudding oder Nachspeisen aus
Südafrika, Karibik Palatschinken oder „Bolo de fubá“ aus Brasilien.
Weltprobleme
und Kochrezepte
Ich blättere zurück, neben brennendem Regenwald ein
brasilianisches Maisfeld, das mich an das Burgenland erinnert, Mato Grosso
statt St. Michael. Auch kein Problem.
Eine Liebesgeschichte zwischen einem spanischen
Schiffbrüchigen aus dem Jahr 1511 und einer Maya Frau soll am Anfang der
weltweiten Mais-Liebe stehen, der auch Nora Aschacher verfallen ist. Sie
erzählt es, und schon sind wir bei Rezepten für Tortillas. Auch mit Spinat und
Feta, was ja durchaus an eine alte europäische Hochkultur erinnert.
Das Original-Tagebuch des Genuesers
Christoforo Colombo ging verloren, er soll jedenfalls
von einer „Wunderpflanze“ berichtet haben, deren Körner in einer wunderbaren
Art angeordnet seien, ähnlich wie Erbsen und weiß, wenn sie jung sind. Kukuruz
heißt in Italien „grano turco“, Polenta für Gerichte
aus Maisgries ist auch die Basis für ein Schimpfwort: für „Polentone“ – als
Maisfresser wurden Norditaliener von Süditalienern beschimpft, die wiederum die
Süditaliener Terroni nannten, wenn sie als ehemalige
Landarbeiter in den industrialisierten Norden kamen. Allerdings gibt es ohne
Boden keine Landwirtschaft, aber wenn es beim wechselseitigen Beleidigen hilft,
dann kann man auch eine wunderbare Pflanze wie den Mais benützen. In beiden
Fällen wird aber über Menschen gespottet, die hart auf Feldern arbeiten, sich
nur von Mais ernähren können, gegen Armut ankämpfen müssen und wenig
Bildungschancen hatten. Oberflächliche Abwertung des Anderen als Mittel zur
Stabilisierung übler Zustände.
Bioladen
statt Biosprit?
Wird der Anbau von Lebensmitteln für Menschen weniger
gewinnbringend als der Anbau von Futtermitteln oder Grundstoffen für die
chemische Industrie? Futter war Mais in Österreich schon lange, möglicherweise
hat er deshalb mitunter auch ein schlechtes Image und erst eine Neubesinnung
macht im Bioladen einen Maiskolben fast zum Luxusgut. Sind Biotreibstoffe
vertretbar, wenn Menschen hungern? Das ist schon eine lange diskutierte Frage.
William Faulkners Satz „Civilization
begins with distillation” mag diesbezüglich zur Entspannung beitragen,
schließlich liebte der Schriftsteller seinen aus Mais destillierten Bourbon
Whiskey.
Nora Aschacher schreibt in „Mensch und Mais“ nicht nur über
Pflanze und Individuen, sondern sie entwirft eine weltweite Kultur- und
Sozialgeschichte, die viel mehr betrifft als „zea mays“. Der genaue Blick der Autorin auf eine große Liebe
wird gleichzeitig zu einem Kompendium von Jahrhunderten Menschheits- und
Planetengeschichte.
Nora Aschacher: Mensch & Mais. Kulturgeschichte einer
jahrtausendealten Liebe. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2023.
Peter
Handke: Keine Meinungen – Literatur