„Das ist ein Adler“
1.7.2018
„Ein alter Adler.“ - Der Bub war vielleicht
gerade fünf Jahre, konnte zumindest offiziell noch nicht lesen. Einen Adler
kannte er vielleicht von seinem „Quartett der Tiere“, aber da war ihm der Tiger
lieber, der schon majestätisch von der Schachtel der Spielkarten schaute.
Ein Adler also stand da in der Garage der
Papierfabrik. War ein Überbleibsel aus der Zeit vor dem Krieg. Schwarz, mit
abstehenden Kotflügeln, wie eben die Autos aussahen in der Zeit zwischen den
Weltkriegen.
Die Erwachsenen waren erstaunt, gingen wieder
zurück in das Esszimmer und verbrachten den Abend weiter so, wie eben einander
gut gesinnte Geschäftspartner einen Abend gemeinsam verbringen. Die
Papierfabrik sollte erweitert werden, der Architekt war eingeladen, sein
fünfjähriger Sohn wurde mitgenommen. „Wie hat er das erkannt?“ war kurz das
Gesprächsthema der Runde.
Er hatte das Typenschild am Kühler gesehen und
wusste wohl, was ein A ist. Um ein A zu erkennen, muss man noch nicht in der
Schule gewesen sein, wo man dann offiziell das ABC lernt. Aber das behielt der
Bub bei sich.
Er war trainiert. Kannte als Kleinkind alle
gängige Auto- (Vater hatte FIATs) und Roller-Marken (in Österreich gab es
damals nur Puch und Lohner). Puch-Roller
waren mehrheitlich graugrün, erst die neueren Modelle waren hell und dunkelblau
lackiert, Lohner gab es ebenfalls quasi militärisch und dunkelrot. Vater war
stolz, wenn der Bub alle Automarken kannte, Mutter war verwundert, aber auch
stolz. Autos waren nicht ihre Leidenschaft, aber Leistungen des Sohnes wurden
bewundert, auch wenn sie noch so klein waren. Kleine Trainingslager zur
Erweiterung des Horizonts wurden bei Italien-Urlauben abgehalten. Alfa Romeo
Giulietta. Mit A wie Adler.
Was der Bub damals nicht wissen konnte: Es gab
einen Adler Wagen, den Walter Gropius, der Bauhaus-Gründer, entworfen hatte.
Der Architekt hätte zwar am liebsten gebaut wie Gropius, den Gropius Adler
kannte er nicht.
In den folgenden Jahrzehnten hatten Vater und
Sohn nur ein Thema, bei dem es nicht zu Disputen kam: Autos. Ob daher die
Prägung kam, die den Sohn nie wieder loslassen sollte, trotz aller Versuche?
Das einzige Thema, bei dem Frieden herrschte – war es das, was ihn später,
entspannt hinter dem Lenkrad sitzen ließ, wegen des Adlers, der Automodelle,
der Anerkennung? Dabei war der Fahrkurs mit dem Vater
schweißtreibend unpädagogisch. Der Bub musste sein erstes Auto (einen FIAT)
innerhalb weniger Wochen zerstören, um zu sich zu kommen. Danach war alles in
Ordnung – zumindest mit dem Autofahren.
Was er nie glaubte: dass Autos auf Mädchen
Eindruck machen, nicht nur wegen seiner beiden kleinen FIATs. Mädchen, die ihn interessierten,
lasen Camus, nicht Autorevue. Jahrzehnte später, inzwischen war klar, dass man
sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen musste, kam er drauf, dass
der Schriftsteller und Philosoph in einem Facel Vega
starb, dem luxuriösen französischen Sportcoupe seines
Verlegers. Die Marke war ihm schon davor nicht sehr sympathisch - zu
schwerfällig sahen diese Autos aus, im Vergleich zur italienischen Konkurrenz.
Überhaupt Italien: führte die erste große Fahrt mit dem Moped zum neu erbauten
Österreichring, ging die erste große Autofahrt nach Rom und Neapel, nicht wegen
der Autos, aber die durch römische Macht gebrochene griechische Mythologie
faszinierte, und immerhin auch ein kaputtes Auto kann einen Berg
hinunterrollen, nicht nur der Stein des Sisyphos.
Und wahrscheinlich muss man sich auch den
Fahrer eines kaputten Autos als glücklichen Menschen vorstellen.