30.7.2018
Ein Kleinwagen, drei junge Männer, Rückweg. Einen
Führerschein hatte nur einer, also durfte der immer fahren. Tag und Nacht und
fast nichts trinken. Wichtig: nie dieselbe Straße zweimal befahren, denn man will
ja etwas erleben. Bei der Hinfahrt hatte der Konsum von Wassermelonen beim
Beifahrer der hinten saß, bei einer kurvigen Strecke entlang eines Sees zu
einem Notstopp geführt: die Cocomeri
waren kaum verdaut... verständlich dass sie den Weg
nach außen suchten, denn schließlich galt es ja, imaginäre Bestzeiten zu erreichen.
Wäre doch gelacht, käme man nicht in einem halben Tag mehr als 1000 Kilometer
weit.
Und in dieser Traum-Gegend und nach jahrzehntelanger
Wartezeit endlich die Möglichkeit selbst zu fahren... da verschwinden
Hindernisse in Form von Kurven oder Mitmenschen auf den Straßen genauso wie der
Wunsch eines Beifahrers ruhig verdauen zu können.
Die Bewältigung von Landschaft durch Fahren schafft
andere Horizonte. Manche mögen es Tunnelblick, andere Erlebensblick nennen,
Jahre später sollte ein Künstler mit einem Rallyefahrer darüber philosophieren:
die Eroberung der Landschaft durch Bewegung, die genaue Kenntnis jedes
Steinchens, jede Oberflächenveränderung kann bei dieser Art Raum zu greifen Bedeutung
haben – z.B. wenn man vergisst, dass soeben der Acker an
der Kurveninnenseite gepflügt wurde. Bei einer Demonstrationsfahrt mit einer jungen
Frau hatte der Staatsmeister nicht daran gedacht und konnte sich nicht mehr mit
dem kurveninneren Vorderrad einhängen. Die Ackerfurchen haben dann für mehrfache
Überschläge gesorgt. Immerhin die Beifahrerin des Champions blieb unverletzt, der
vergessliche Fahrer auch, nur das Auto wurde zum Fall für den Restaurator. Das
kann also beim Vernachlässigen von Kleinigkeiten auf den eigenen Latifundien
passieren. Als ich davor mit einem anderen Fahrzeug mitfahren durfte, dachte
ich nur daran, dass ja der Fahrer auch nicht sterben wollte und dass er Meister
war. Tatsächlich der Blick auf die Landschaft wird ein anderer, Raum hat etwas
mit der Bewältigung von Strecken zu tun. Vielleicht kommt die Sehnsucht nach
schneller Fortbewegung in der Landschaft von dem alten Wunsch nach Freiheit
durch Flächenbesitz. Wer erinnert sich an Elissa von Thyros, die 814 v. Chr. nach Nordafrika geflohen war? Ihr
wurde so viel Grund versprochen, wie eine Kuhhaut bedecken kann. Die als Dido
in die Sagenwelt eingegangene zerschnitt die Kuhhaut so feinsinnig, dass sie
die Fläche erreichte, die dann Byrsa, die Burg
Karthagos in der Nähe des heutigen Tunis, einnahm. In der Mathematik heißt
dieses Problem Didos das „isoperimetrische Problem“*.
Wem nicht nach Poesie und mathematischen Formeln ist, ob
nicht der lange andauernde Wunsch nach weiter, schneller, mit der Etablierung
von Flächen und er Überwindung von Räumen zu tun hat, dem oder der stelle ich
die Frage nach der Faszination der Sterne. Der kleine rote Punkt in der Nähe
des Blutmondes vor ein paar Tagen ließ doch trefflich überlegen, ob man nicht
doch auf den Mars wollte, die Entdeckung eines unterirdischen Sees auf dem „Gott
des Krieges“ – halb so groß wie die Erde, etwa ein Drittel der Schwerkraft, da
ließen sich große Sprünge machen… ob man ihn aber nicht lieber friedlich in
Ruhe lassen sollte, den Mars? Den Dienstag haben wir ihm ja schon geweiht (martedi, italienisch, mardi, französisch…)
möge er sich ruhig verhalten, erst recht, wenn wir nicht an ihn glauben.
Aber zurück zu den Eroberungen durch Geschwindigkeit,
kann ganz schön schief gehen: z.B, durch ein sich
spontan gebildet habendes Bächlein in einer der Lieblingskurven des jungen
Mannes vom Anfang der Geschichte - kann zu Querstehen und könnte zu einem anschließenden
Aufprall an einer Betonmauer führen. Muss aber nicht. Hat ein Schutzengel geholfen?
Wahrscheinlich. Oder aber war es doch ein „mentaler Zeitlupeneffekt“? Plötzlich
dehnen sich die Sekunden, und es können Lenkbewegungen ausgeführt werden, die
man von außen nicht einmal beobachten kann. Time-Stretching durch Adrenalinstoß,
lebensverlängernd in doppeltem Sinn. Weil der Aufprall nicht stattfindet und
man die Lebenszeit durch die mentale Zeitlupe erlebnisreicher machen konnte.
Nicht km/h sondern
Erlebnis/Sekunde als neue Einheit für Lebenszeitmessung. Plötzlich liefe dann
nichts mehr synchron, und man müsste jedes Mal, wenn man jemanden wieder
trifft, eine Klappe schlagen wie beim Film, sodass Bild, Ton und Seele wieder
synchronisiert werden können.
Auch die Synchronisierung von Landschaft und Phantasie
bietet Herausforderungen. Allein das Wort „San Martino di Castrozza“
klingt nach Herausforderung, und wenn man als jugendlicher Irrer plötzlich am
Heimweg den Wegweiser zu dieser kleinen Ortschaft sieht, dann kann man das
schon als Aufforderung nehmen, die Kurven, die da bergauf gehen, möglichst
schnell zu nehmen. Enge Kurven in Finsternis und nach stundenlangem Fahren um halbzwei Uhr früh, man hat keine Ahnung dass der Ort, der
einer Rallye den Namen gegeben hat, von der man irgendwo in einem Nebensatz
gelesen hat, auf fast 1500 m Meter Seehöhe ist, dass er wirklich nicht am Heimweg
liegt und dass sehr bald das kleine gelbe Auto vor einer Werkstätte auf einem Bergabstück ausrollen wird. Man schläft in der Wiese, lässt
am nächsten Tag Zündung wechseln und Verteiler, bis man draufkommt, dass der
aus motorsportlichen Erwägungen eingebaute Drehzahlmesser Ursache des
Stehenbleibens war. Durch die Belastung der Hecksitzbank wurde ein Kabel, das
von Verteiler zu Drehzahlmesser führte durchgescheuert und kurzgeschlossen. Heimfahrt
also ohne Drehzahlanzeige. Und in Hinkunft wurden andere Routen für den Heimweg
von Süditalien gewählt. Das Ideal keine Strecke zweimal zu fahren konnte nicht
erreicht werden, San Martino di Castrozza war eine
Ausnahme, dort kam man nie wieder hin.
*Dank an Andreas de Vries für http://math-it.org/Publikationen/Dido.pdf