rainer rosenberg

 

 

 

 

Hauptsache es rollt

 

 

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Keine Vignettenpflicht

7.11.2022

 

Bevor ich mich mit den Aufklebern für mein Auto und dem Auto selbst beschäftige, eine kleine Reise. Nicht nach Turin, wo das Auto herkommt, bzw. nach Rho in der Lombardei, wo die Karosserie entstanden ist, sondern nach Golfo Aranci auf Sardinien. Von dort sind nämlich jetzt die Pickerl für mein Fahrrad gekommen, das ursprünglich von Padova nach Österreich gekommen ist.

Vignetten aus Sardinien! Ich hatte den Anbieter über eBay gefunden, bezahlt und gehofft. Alles hat funktioniert wie versprochen.

 

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Und ich habe die Aufkleber schon zum Lackierer gebracht, sie sehen aus wie damals, sind aber nagelneu. Die schönen „Torpado“ – Schriftzüge, weiß, schwarz umrandet, die stilisierte Weltkugel mit den weißen Dekorstreifen. Ich hoffe ich habe gemeinsam mit dem Lackierer den richtigen Farbton ausgewählt. Man ahnt gar nicht, wieviel unterschiedliche Hellblaus es gibt …

Trotzdem bleibt das neu vs. Patina Problem. Ich werde mich wohl (völlig falsch) für eine Mischung entscheiden – so ähnlich wie am Michaelerplatz die Römischen Ruinen nur teilweise zum Ansehen im Alltag freigegeben wurden.

Über Pickerl und hellblau kommt jedenfalls eine Schicht Klarlack. Aber wie wird das mehr als ein halbes Jahrhundert alte Chrom aussehen, wie der Lenker, der einen ohnedies nicht originalen ersetzen wird – Schaltung und Campagnolo Bremsen habe ich schon, stammen ungefähr aus der Epoche … bin gespannt, wann das Projekt fertig wird. Ein Rennrad mit 10 Gängen, wo finde ich die passende Regina Kette, sollen die Bowdenzüge weiß werden, hellgrau oder schwarz? Moment, da habe ich doch wo ein Foto… ja sie müssen weiß sein, alle Indizien sprechen dafür.

 

 

Pickerl, die Zweite

„Scuderia Autostoriche Salisburgo“ - der Vorbesitzer meines zuletzt gekauften Autos hat mir erlaubt, den Aufkleber auf der Windschutzscheibe zu lassen, obwohl ich nicht (oder noch nicht?) Mitglied bin. Ich bin jedenfalls Sympathisant, erstens weil der Name eine gewisse Italophilie ausdrückt, die mir selbst nicht einmal das letzte Wahlergebnis austreiben konnte, und zweitens, weil ich einige sehr nette Mitglieder dieser Scuderia kenne. Rennstall heißt das Wort übersetzt, früher Pferdestall, Mitglieder einer Scuderia sind jene, die dasselbe Wappen - Scudo tragen. Zum Beispiel ein springendes Pferd auf gelben Grund. Bei meinem „neuen“ Auto zeigt das Wappen - oder sollte man lieber sagen Markenlogo? - ein stilisiertes Lenkrad, eine Lanze und eine daran befestigte Fahne, auf der der Name des Firmengründers zu lesen ist – Lancia. Hier geht es also nicht um eine Waffe, sondern um den Familiennamen von Vincenzo Lancia, 1881-1937.

 

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Sein Sohn Gianni übernahm nach dem Tod des Vaters die Leitung des Unternehmens und forcierte nach dem Krieg die Entwicklung von Rennwägen und technisch exklusiven Automobilen. Gerade heute in Zeiten einer rechtsextremen italienischen Ministerpräsidentin mutet eine Nachkriegsepisode besonders seltsam an: Lancia soll vergleichswenig wenig US-amerikanische Marshall-Plan Wiederaufbau-Hilfen erhalten haben. 800 000$. Der Grund: Gianni galt in seiner Studentenzeit in Pisa als Sympathisant der Linken.[1]

Autostorie - Autogeschichten sind Menschengeschichten, sind politische Geschichten.

Giannis Lancias gewannen Rennen und kosteten Geld. Italcementi unter Carlo Pesenti übernahm 1955 Lancia, die Rennabteilung ging um eine Lira an Ferrari, Fangio wurde im Jahr darauf Formel 1 Weltmeister mit seinem Lancia Ferrari. Pesenti war nicht nur im Baugeschäft sondern auch im Bankgeschäft tätig und hatte mit zahlreichen skandalumwitterten Personen (der später verurteilte und im Gefängnis ermordete Michele Sindona wollte zum Beispiel seine Bank übernehmen, er arbeitete mit dem skandalumwitterten Banker Roberto Calvi zusammen, der in London unter ungeklärten Umständen zu Tode kam) – jedenfalls musste Lancia im Jahr 1969 verkauft werden – Fiat Präsident Gianni Agnelli ließ Pesenti angeblich eine halbe Stunde Zeit, um ihm seine Aktien um 1 Lira das Stück zu verkaufen.

Inzwischen hat Fiat nach vielen unterschiedlichen Partnerschaften mit der französischen PSA-Gruppe fusioniert, unter dem Namen Lancia wird nur mehr ein Kleinwagen produziert.

 

Serie eineinhalb, wie beim Jaguar E-Type

Aus genau dieser Übergangszeit Ende der 1960er Jahre stammt mein Auto mit dem Aufkleber Scuderia Autostoriche Salisburgo. Eine Fulvia Zagato, Serie 1,5. Was das bedeutet: Serie 1 kommt aus der vor Fiat Epoche, Serie zwei aus der Fiat Zeit. Meine Fulvia (offiziell heißt sie ja schon Serie 2) hat meiner Empfindung nach Vorteile aus beiden Zeiten: z.B. die seitlich zu öffnende Motorhaube als Aluminium, die verchromten Fensterrahmen und die kleineren Rückleuchten von davor aber das Fünfgang-Getriebe von danach.

 

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Ein von Ercole Spada in den 1960er Jahren gezeichnetes und von Zagato in geringer Stückzahl gebautes Auto erzeugt große Erinnerungen: an berühmte Alfa Romeo- und Lancia-Modelle, an einen „legendären“ Aston Martin. Zagato stand im Sportwagenbau für leicht und windschlüpfrig, für die Verwendung von Aluminium als leichtem Karosseriematerial statt Plastik, wie es zu dieser Zeit in England mehrheitlich en vogue war. Viele Zagatos waren alltagstauglich, wenn auch manchmal ein wenig seltsam. Passen sie deshalb besonders gut zum Fahrer?

 

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Das Logo war ein stilisiertes Z. In Zeiten in denen russische Panzer damit den Krieg gegen die Ukraine symbolisierten, war mir das Pickerl mit zwei Z und dem Schriftzug „zagato corsa“ etwas unangenehm. Aber so wie Torpado[2] nichts mit Waffen zu tun hat, sondern mit Carlo TORresini, dem Gründer der Firma und PADOva, dessen Heimatstadt, ist auch das Z bei Zagato harmlos, man sollte es nur wissen. Jedenfalls ich kann es jederzeit erklären.

 

Ist originell schöner als schön?

Ob von Zagato gebaute Autos „schön“ sind? Mir fallen auch Beispiele für das Gegenteil davon ein, jedenfalls lässt sich „originell“ viel einfacher beschreiben und vielleicht auch definieren als „schön“. Eine Bremsbedienung ohne Pedalweg zum Beispiel wie beim Citroen DS ist originell, eine Heckklappe, die mit einem Elektromotor einen Spalt zu öffnen ist, wie bei der Fulvia, ein Kreiskolbenmotor … es gäbe viele weitere Beispiele, manche bedürfen längerer Erklärungen, andere sind auf den ersten Blick klar.

Inzwischen liebe ich originelle Lösungen fast mehr als Schönheit, die scheint mir stärker Moden und Marketing unterworfen.

 

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Jedenfalls wurde die Fulvia in den Fuhrpark aufgenommen, 1300 ccm Hubraum, nicht sehr schnell, Benzinverbrauch überschaubar und sie schleppt nicht zu viel Gewicht mit sich herum. Ehemals eindeutig ein sogenannter Sportwagen, sie trägt ja auch „Sport“ in der Typenbezeichnung. Aber Sport und Autofahren? Das sind inzwischen zwei völlig verschiedene Dinge. Wenn man aber Autofahren mit notwendigen Wegen verbinden kann, dann sollte man zumindest möglichst viel Freude daran haben können.

Da lächelt Fulvia.

 

Namen aus der Antike

Lächelt Fulvia auch wegen ihres Namens, weil sie gebaut ist, um in der römischen Geschichte herumzufahren, so wie ihre Schwestern Appia, Aurelia, Flaminia und Flavia (von denen es übrigens auch einige Zagato Versionen gab)?

Das neue Auto ist nun 51 Jahre alt, die Straße desselben Namens wurde vor 2200 Jahren errichtet. Sie führte den von unterschiedlichen Straßen von Rom und aus dem Nordosten des römischen Reiches kommenden Verkehr nach Turin, der genaue Verlauf ist umstritten. Quintus Fulvius Flaccus, war mehrfacher römischer Konsul und Feldherr, sein Sohn wurde gemeinsam mit einem Bruder ebenfalls Konsul (Amtsträger waren ja immer zwei Personen) und wird oft als Namensgeber der Via Fulvia genannt. Das römische Reich brauchte sie, um besser gegen die Ligurer kämpfen zu können aus strategischen Gründen. Der Vater war als Politiker erfolgreicher, der Sohn, starb wenige Jahre nach der Fertigstellung der Straße, ob sie wirklich nach ihm benannt wurde, ist unsicher.

Ligurer? Wir wissen, dass Genua die Hauptstadt Liguriens ist, aber wissen wir auch etwas nach welchem Volk Ligurien benannt ist? Was haben wir uns vorzustellen unter dieser „Vorrömischen Bevölkerung“ des westlichen Alpenraums, die von den Kelten in das heutige Ligurien gedrängt wurden, um dann dort nur mehr als Namen auf der Landkarte zu bleiben. Von ihrer Sprache, die sich später mit jener der dominierenden Keltern vermischt hat, ist nicht viel bekannt, von der bronzezeitlichen Kultur, weiß man aber immerhin, dass sie nicht indogermanisch war. Für Römer wie Quintus Flaccus waren sie wohl Barbaren, die der Ausbreitung des römischen Reiches im Wege lebten. Die Straße, die er bauen ließ dürfte ihre Zweck erfüllt haben - der Stamm der Statielli wurde besiegt und versklavt. Hauptort der Ligurer im heutigen Ligurien war übrigens Album Ingaunum heute Albenga, an der Meeresmündung des Flusses Centa gelegen. Hier gibt es Reste der Via Julia Augusta, einer der Straßen, die zur Fulvia führten, und auch die Via Aurelia, die von Rom nach Frankreich ging, doch dazu kommen wir später.

Reste der antiken Via Fulvia finden sich noch in der Nähe von Alessandria, gut eine Autostunde nördlich von Albenga, aber offenbar teilt die Straße das Schicksal des Volkes, zu dessen Bekämpfung sie errichtet wurde: es gibt sie nicht mehr.

 

Appia forever

2019 wurde Paolo Rumiz‘ Buch[3] über die Via Appia auf Deutsch herausgegeben, er ging die ganze Strecke von Rom bis Brindisi ab, seine Suche nach einer „verlorenen Straße“ wurde von Karin Fleischanderl für den Folio Verlag übersetzt.

 

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Die Via Appia ist wohl die bekannteste der antiken römischen Straßen, sie geht von Rom Richtung Süden, ist gesäumt von Grabmälern reicher Römer und führt sogar an Ciceros Grabmal in Formia vorbei. Claudius Appius ließ sie ca. 300 vor Christus bauen, sie führte später bis Brindisi zum Meer auf der anderen Seite des Stiefels. Appius war ein wichtiger Politiker, der sich - aus einer Patrizierfamilie stammend –nicht nur für Bauwerke wie Straßen und Wasserleitungen einsetzte, sondern auch um die Rechte von Plebejern und freigelassenen Sklaven kümmerte, die es dann bis zur Mitgliedschaft im Senat bringen konnten.

Lancias Appia war eine eher kleine Limousine, klein, aber gut ausgestattet, Zagato Versionen werden heute zu sechsstelligen Preisen gehandelt, die kleinen Luxuslimousinen sind nur einen Bruchteil davon wert.

Auch die Aurelia gibt es heute noch. Nicht nur als Lancia-Oldtimer sondern als vielbefahrene Straße zwischen Rom und Südfrankreich. Heute heißt die Via Aurelia auch Staatsstraße Nummer 1, in den USA würde sie wohl Highway One heißen, in Österreich Bundesstraße 1.

 

Lancia bei Tim und Struppi

Die Aurelia von Lancia wurde als Sportwagen eine Ikone und hat es als Coupè sogar zu einem fulminanten Auftritt bei Hergès Tim und Struppi gebracht. („Der Fall Bienlein“).

 

[4]

 

Gaius Flaminius, der die Via Flaminia, die über eine andere Route ebenfalls von Rom nach Frankreich führte, war u.a. Volkstribun, und setzte sich als Plebejer ebenfalls für die unteren Schichten ein. Er starb in der Schlacht am Trasimenischen See gegen Hannibal.

Von der Flaminia, einer luxuriösen Limousine, gibt es zahlreiche Versionen darunter unterschiedliche Coupès, unter anderem eines von Zagato.

Womit wir nicht nur bei dem am wenigsten prominenten der von Lancia verwendeten Straßennamen wären: von der Via Fulvia – sie führte von Piacenza ebenfalls nach Frankreich – gibt es nicht viele Überreste, sie hat es nicht zu mehr als zweitausendjähriger Weiterverwendung gebracht.

Und die Via Flavia stammte dann schon aus der Kaiserzeit, nach Christi Geburt, und wurde von Vespasian auf dem späteren Gebiet der Österreichisch-Ungarischen Monarchie errichtet – sie führte von der früher sehr bedeutsamen Stadt Aquileia über Triest nach Pula an der Spitze Istriens. Von der Flavia gab es Limousine, Coupè, Spider und ein sehr eigenwilliges Zagato Coupè, sie hatte ein anderes Motorkonzept, hatte wie die Fulvia obwohl sie viel größer war Frontantrieb und galt als Luxuswagen der oberen Mittelklasse für die gehobene Mittelschicht.

Die Via Flavia aber ist nicht mehr besonders wichtig, die k.u.k. Monarchie ist untergegangen, Istrien hat in den 2000 Jahren der Existenz der Straße viele unterschiedliche Herrscher und Verwaltungen, Sprachen und Kulturen erlebt.

Da könnte man fast an ein sehr gebrauchtes Lancia-Wappen denken: die Lanze ist unzeitgemäß, die Schrift auf der Fahne ist kaum leserlich, viele Steinschläge haben den Zahn der Zeit ersetzt.

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Aber Lancia hat viele Freunde, scheint aber immer wieder am Ende, so wie das vom Steinschlag gezeichnete Firmenschild im Kühlergrill der kleinen Fulvia. „Stemma“ kann man dazu sagen und ist schon wieder beim Wappen, beim Aufstellen von Mannschaften – „Scuderie“, das klingt alles ein wenig nach Ritterturnier. Aber auch die Zeiten großer Kämpfe im Motorsport mit Fulvia, Stratos oder Delta sind vorüber, es bleiben oft Wettbewerbe, bei denen es um Gleichmäßigkeit statt um Tempo geht. So wie bei der Scuderia Autostoriche Salisburgo.

Eigentlich könnte ich einen Mitgliedsantrag stellen.

 

 

Unter dem Asphalt liegt das Pflaster

22.9.2022

 

 



[1] Gianni Lancia, 1924-2014 (velocetoday.com) – abgefragt 3.11.22

Money was tight, however, and because of Gianni’s student sympathies for the left wing resistance movement (probably derived from his time in Pisa, where the university had a long tradition of anti-fascist politics) Lancia was effectively denied Marshall Aid monies, receiving a measly $800,000.”

 

[2] Siehe auch: „Und plötzlich taucht eine Schrift auf“ - www.rainerrosenberg.at/hauptsacheesrolltartikel/220719 torpado.htm

[3] Paolo Rumiz: Via Appia, Folio Verlag. Wien, Bozen 2019

[4]Der Fall Bienlein – Wikipedia

Automodell: Tim und Struppi La Lancia de l’Italien. Der Fall Bienlein. 1:43, gefunden auf eBay