Weite Fahrten, schlimme Träume
27.1.2023
1969 hatte eine orange Fulvia Zagato die Startnummer 61 beim
Coupe des Alpes, der französischen Alpenrallye. Inzwischen wurde aus dieser
Langstreckenrallye eine Gleichmäßigkeitsfahrt. Meine Fulvia schiene dafür durchaus geeignet, schließlich soll sie als über 50-Jährige
keinen lange andauernden Vollgasqualen ausgesetzt werden.
Und dann kommt noch die persönliche Frage, ob nicht 10 Jahre auf
Rennstrecken im Kreis zu fahren genug seien. Und es nicht Zeit wäre, das Fahren
etwas gemütlicher anzulegen. Viele werden sagen, jedes Jahr sei zu viel, aber
so ist es eben mit dem Nachholen von Kinderträumen: es kann passieren, dass sie
ein halbes Jahrhundert später aus der Zeit gefallen scheinen und für viele
nicht nachvollziehbar sind.
Albtraum Schraubengewitter
Allerdings passt mein heutiger Traum dazu: ich stand in einem
Gewitter von 5mm Linsen-Senkkopfschrauben mit Kreuzschlitz. Richtiggehend bombardiert
wurde ich. Die Arme zum Schutz über den Kopf gehalten, wie bei einem
Hagelschauer. Die Treffer, es muss wohl welche gegeben haben, spürte ich nicht.
Die Sitzlehnen bei Fulvia sind mit solchen Schrauben
montiert. Und in den letzten fünf Jahrzehnten wurden sie schon einigermaßen
malträtiert. Deshalb hat sich Walter bemüht, neue zu bekommen, und er hat
Immerhin fast identische gefunden. Das dahinerliegende Problem ist zwar nicht
so schlimm wie ein Schraubengewitter unter freiem Himmel, aber für einen kleinen
realen Albtraum reicht es: aus bisher unerfindlichen Gründen neigen die beiden
Fulvia-Vordersitze dazu, während der Fahrt nach hinten zu klappen.
Sie wurden schon zerlegt, kurz überprüft, aber es wurde kein Fehler gefunden.
Wir haben jetzt einmal eine improvisierte Fixierung eingebaut, damit diese
Überraschungen nicht mehr passieren.
Außerirdisch/überirdisch
Wenn man etwas nicht versteht, dann könnte man ja dazu
neigen, von rationalen Erklärungen wegzudriften und
an Übernatürliches zu glauben beginnen: die Welt ist ja nach Meinung unserer
Altvorderen schon immer von Göttern und Geistern geschaffen und bewohnt worden,
Gespenstergeschichten lassen uns erschauern, verschiedenste Religionen erfreuen
sich unterschiedlichster Beliebtheit. In Island werden z.B. Kenner der
Geistwesen – immerhin sollen 60 Prozent der Isländer*innen von ihrer Existenz
überzeugt sein – sogar für Bauvorhaben zu Rate gezogen. Man sollte die
Lebensräume der immateriellen Wesen nicht zu sehr einschränken, schließlich
sind – wenn es sie denn tatsächlich geben sollte – nicht nur gutmeinende Elfen
unterwegs, sondern auch spöttische Alben und gemeine Trolle.
Ich fuhr einmal einen ziemlich gebrauchten
tirolergrünen Saab 96, der wurde in Trollhättan,
Schweden, gebaut, muss also ab Geburt bzw. Erstkonstruktion mit Trollen
durchaus auf du und du gewesen sein. Er hätte sich ja eine
Restaurierung verdient, aber ich habe ihn entnervt nach verschiedenen Unperfektheiten, er warf zum Beispiel am Gürtel in Wien
einmal völlig überraschend ein Rad ab, um den Wert eines Talbot Außenspiegels
und einer neuen Batterie verkauft. Der Verbleib des Autos ist mir nicht
bekannt, aber ich leide manchmal unter Anfällen von Saab 96 Nostalgie. Habe zum Beispiel gerade ein Inserat für einen hellblauen
gesehen und wollte ja schon immer ein hellblaues Auto… Mein tirolergrünes
Exemplar, fürchte ich, ging als Scheidungswaise unter, die Trolle dürften über
die Elfen gesiegt haben.
Alberich, er ist ja gleichermaßen König freundlicher wie
boshafter Elfen, Alben und Trolle, dürfte ähnlich viel Gefolge haben, wie die verschiedensten
Götter und Göttinnen in unterschiedlichen Kulturen, die eine sehr diverse
Gefolgschaft von Engeln, Teufeln und anderen Geistwesen um sich scharen.
Ist der Troll schuld?
Trolle erobern digitale Welten ,
kulturell appropriative Menschen haben diesen Namen
aus der Mythologie ins allgegenwärtige Netz geholt, um anonym ihr Unwesen
treiben zu können. Wer weiß allerdings, ob Menschen, die unter dem
„Online-Enthemmungseffekt“ leiden, nicht von den ehemals analogen Geistwegen zu
ihrem destruktiven Werk angeregt werden. Online Disinhibition Effect ist der
Fachausdruck für den Verlust der Selbstbeherrschung in der schriftlichen Kommunikation im
Internet. Ob da auch die Naturgeister schuld sind?
Runtergefallen? Auf den ersten Blick nichts zu sehen.
Verkleidungen zerlegt, Mechaniker angerufen und nach geheimen Ecken im Auto
gefragt - kein Ergebnis.
Dann: dem Parkplatznachbarn das Missgeschick geschildert. Der
offenbar keinen Troll Fürchtende kommt mit mir, macht die Autotür auf und hält
mir den Schlüsselbund entgegen: er fand ihn in der Armlehne der Fahrertüre.
Oder: Ich fischte einem Freund kurz vor seiner geplanten
Abfahrt seinen Schlüsselbund aus einem Müllkübel, war er da selbst der Troll
als er ihn mit dem Mist entsorgt hatte, und ich von Elfen inspiriert?
Alpen statt Alben
Zum Glück wendeten sich die Rechtschreibspezialist*innen
wieder den Albträumen zu, nachdem sie jahrelang verlangt hatten, diese Träume
den Alpen zuzuschreiben statt den germanisch, skandinavischen Geistwesen, die
sich einem nächtens auf die Brust setzen und Beklemmungen
verursachen. Nightmare sagen die Engländer zum Albtraum, und lassen den
Nachtmahr noch als kompletten Begriff weiterleben.
1954 hat übrigens der Österreicher
Wolfgang Denzel mit seinem selbst entwickelten Sportwagen die Rallye gewonnen,
die in ihren besten Zeiten über 4000 km geführt hat. 1957 wurde sie wegen
Benzinmangels, hervorgerufen durch die Suez Krise, abgesagt.
Der wildeste der wilden Kerle
Wohl prominentester Lancia Fulvia Fahrer war da zweifellos
Stirling Moss gemeinsam mit Claudio Maglioli und Innes Ireland im Jahr 1968. Die
bessere Platzierung, den dritten Platz erreichten allerdings Harry Källström, Sandro
Munari und Raffaele Pinto.
Fulvia und Saab, beide waren besonders als Rallyeautos
erfolgreich. Und der wildeste aller wilden Saab Kerle war Erik Carlsson, der
Schwager von Stirling Moss, dem schnellsten aller Mille Miglia Fahrer.
Sie fuhr in ihrer Karriere unterschiedlichste Autos, Saab und
Fulvia waren dabei, den Gesamtsieg bei der Rallye
Lüttich-Rom-Lüttich schaffte sie 1960 in einem Austin-Healey
3000.
Ihr Mann[2]blieb mit Trollhättan und Saab sehr verbunden: Beim Coupe des
Alpes 1966 fiel der berühmte „Carlsson on the Roof“ – die Nähe zu Astrid Lindgrens Kinderbuch kommt
von seinen häufigen Überschlägen – fiel er allerdings wegen eines Defekts an seinem Saab Sonett
mit Dreizylinder Zweitaktmotor nach hervorragender Fahrt aus. Er hätte wohl
statt der Trolle aus seiner Heimatstadt lieber die Feen mitnehmen sollen, die
ihn bei seinen Überschlägen so zuverlässig beschützt hatten.
[1] Hier findet sich eine
ausführliche Würdigung Erik Carlssons: BangShift.com Erik Carlsson