Flohmarkt/mercatino delle pulci
27.2.2023
Zuerst war ich auf der Suche nach
zwei bis drei Fahrradersatzteilen. Mir wurde eine Auslage empfohlen, die sich
als versperrter Eingang zu einem Lager unterschiedlichster Motorrad- und
vielleicht auch Fahrradteile entpuppte, die mir also nicht weiterhelfen konnte.
Den monatlich abgehaltenen sonntäglichen Flohmarkt in der netten Allee des
zwanzigtausend Einwohner Ortes in Ligurien wollte ich erst gar nicht besuchen,
wer weiß, was es da noch zu finden gegeben hätte.
Ich bin für mein Ewigkeitsprojekt „Torpado“-Rennrad-Restaurierung nämlich auf der Suche nach
einem epochegerechten Alu-Lenker und einer
entsprechenden Sattelstütze. Ohne Eile, weil ich mich bei diesem Unterfangen
ohnedies noch nie beeilt hatte. Einen angenehmen Zufall hätte ich aber schon
akzeptiert. Dann ging ich doch noch zum Flohmarkt.
Ich widerstand allen Versuchen eines
der angebotenen Rennräder zu kaufen, in Erinnerung daran, dass ich ja schon
einmal ein Touren-Fahrrad aus Italien mitgebracht hatte, das ich nur ein wenig
reparieren musste, um es danach zu verborgen. Möglicherweise bekomme ich es
bald zurück, wer weiß, welche Herausforderungen sich da wieder ergeben. Rückblickend betrachtet fand ich den Fahrradtransport im
Auto für meine Reisebegleiterinnen als Zumutung, so etwas sollte nie wieder
passieren.
Den drei Rennrädern am Flohmarkt
konnte ich also widerstehen: ältere Modelle von Atala
und Gitane und etwas Neueres. Sahen alle praktisch
betriebsbereit aus, aber ich suchte ja kein günstiges altes Rennrad, sondern
nur zwei leicht transportierbare Teile.
Es wurde dann doch ein Luster von
einem Verkäufer erstanden, der in jüngeren Jahren in Deutschland gearbeitet
hatte und interessante Geschichten aus seinem Leben erzählen konnte, aber das
Flohmarktvergnügen uferte nicht aus.
Ein Sessel fehlte
Im gemieteten Quartier (mit
Meerblick, wir kommen seit vielen Jahren immer wieder. Im Sommer und manchmal
zum Jahreswechsel) fehlte heuer in der Küche ein Sessel. Vielleicht hat ihn der
Zahn der Zeit angenagt, ein Holzwurm konnte es nicht sein, er war aus
pflegeleichtem Plastik. Was für ein Glück, dass am Weg zum Quartier eine
Pensionistin ein Altwarengeschäft aufgemacht hat. Man könnte dort mehr kaufen
als in einen Kombi hineinpasst. Zum Beispiel eine dieser wunderbaren
Porzellanspülen mit zwei Spülbecken und Abtropftasse, in Ordnung, aber schwer
zu heben und viel zu groß. Oder verschiedene Kästen und – ja – Sessel. Der
fehlende Küchensessel war also leicht zu ersetzen, ich konnte wieder bequem
sitzend Gemüse schneiden (zum Beispiel „Trombetti“,
eine schlangenförmige Zucchini-Art, die stolz den Namen des Ortes der Handlung
trägt).
Als Mensch, der in früheren Zeiten,
als es in ländlichen Ortschaften keine „Altstoffsammelzentren“ gab, sondern
„Sperrmüllaktionen“ durchgeführt wurden, sein Mobiliar durch Gegenstände
ergänzte, die bei eben diesen Aktionen am Straßenrand zu finden waren, freue
ich mich über Läden, wie den der Pensionistin – und bin leicht in Versuchung zu
führen. Schließlich gibt es ja kaum ein nachhaltigeres Verhalten, als betagte
Gegenstände weiterzuverwenden, statt sie etwa einer sogenannten „thermischen
Verwertung“ – also ihrer möglicherweise sehr zweifelhaften Vernichtung –
zuzuführen.
Eine Falle
Die vertretbaren Einkäufe waren also
getätigt, vorbei am Teilelager, und dann nach dem Flohmarktbesuch ein zweiter Besuch
des Altwaren-Geschäftes. Ein kleiner Rundgang im Lokal, bis der Blick auf ein
an einem Geländer im Freien doppelt angekettetes Fahrrad fiel. Schon wieder ein
altes Rennrad. Graugrün lackiert, so dass keine Marke erkennbar war, nur ein
mir unvertrautes Pickerl war zu lesen: „Bike’s“.
Hatte ich davor noch nie gesehen. Was ich aber schon gesehen hatte, war ein
Rennlenker mit gelochten Bremshebeln, eine unter abblätternder schwarzer Farbe
versteckte Aluminium-Sattelstütze und viele Teile, auf denen der Schriftzug „Campagnolo“ stand.
Tullio Campagnolo,
erfand die Schnellspannnabe, die es ermöglicht mit einer Hebelbewegung ein Rad
aus dem Fahrradrahmen zu lösen. Vor 90 Jahren gründete er die nach ihm benannte
Firma und schrieb mit mehr als 135 Patenten Fahrradgeschichte. Mit
Gangschaltungen und hochwertigen Aluminium-Komponenten. Seine Teile wurden –
vorsichtig ausgedrückt – zur Inspiration der weltweiten Fahrradindustrie. Campagnolo Teile waren für mich früher die Schwelle, die
ein Rennrad unerschwinglich machten.
Also: gleich beim Altwarenladen ist
ein anonymes Fahrrad mit vielen Campagnolo-Teilen
angekettet: das Vorderrad blau angesprayt, ein
eingerissener Plastik-Flaschenhalter am Lenker montiert, eine Startnummer von
einer Oldtimer-Fahrradveranstaltung hängt auch noch daran.
Ich erkundige mich nach dem Preis,
erfahre, dass der Vorbesitzer die Restaurierung des Fahrrads aufgegeben hat und
komme nach ein bisschen Handeln auf einen Preis, der etwa dem Wert des Lenkers
und der Sattelstütze entspricht, würde ich sie einzeln kaufen.
Ich blättere das Geld auf den
Ladentisch, die Verkäuferin geht mit ihrem Schlüsselbund zum Fahrrad. Und
findet für die zwei Schlösser nur einen Schlüssel. Im Notfall wird sie eine
Kette abzwicken und vertröstet mich auf den nächsten Tag.
Wer kennt das Wort „Ausbandler“?
Der berühmteste „Ausbandler“
im Raum Wien ist die Firma Auto-Metzger, bei der sich an einem Sonntag im Monat Liebhaber von alten
Autos beim „Café Gasolini“ treffen, weil sie die
Empfindung teilen, dass ihre alten Autos eine „Seele“ hätten. Dass der Gründer
der Autoverwertung Josef Metzger diesen Namen trug, führt dazu, dass in einem
Wörterbuch für Österreichisches Deutsch „Ausbandler“
gleich mit Autometzger übersetzt wurde. Autofleischhauer? Als einer der aus
Auto-„Leichen“ brauchbare Teile herausmontiert und die Reste entsorgt? Der
funktionierende Ersatzteile anbieten kann, die nicht mehr lieferbar sind oder
preisgünstiger als Neuteile für die Reparatur eines alten Wagens? Das war wohl
der Hintergrund der Gründung der Firma, die nun schon seit vielen Jahren Josef
Metzger jun. – selbstredend einem Oldtimerliebhaber– weitergeführt wird (siehe Video).
Das Wort „Ausbandler“
hat im Stamm zweifellos den Begriff „Bana“ also die Mehrzahl von Knochen. Der
Metzger zerteilt also in Fleisch und Knochen. Auch bei Autos.
Ich aber wollte zum „Fahrradverwerter
werden“ Teile des Altwarenfahrrads ausbauen, reinigen, pflegen und in das Torpado-Projekt integrieren.
Den Berg hinauf
P. wollte das graugrüne Rad am
nächsten Tag abholen und den Berg zum Quartier hinaufschieben. Wie für einen
„Teileträger“ typisch war das Rad ja nicht fahrbereit.
Wenig Luft in den Reifen, Bremsen nicht eingestellt, wahrscheinlich ein
Sicherheitsrisiko. Bloß: die zweite Kette war noch immer nicht geöffnet. P.
sagte, sie gehe nur eine Runde durch den Ort, danach wolle sie aber wirklich
das Rad holen. Ein Caffè noch in der neuen Lieblingsbar („Murphy’s“)
und dann zum Fahrrad. Ob der Besitzer der Bar wohl an Murphy’s Law gedacht hat? „Anything that can go wrong
will go wrong.” Die Kette war jedenfalls geöffnet als P. wiederkam, sie nahm
das Fahrrad und schob es den Berg hinauf. Vorbei an der Werkstätte, in der sich
gerade der gemeinsame Reisewagen von den Strapazen eines langen Lebens erholte
und die Frage auftrat, ob er nach so vielen Jahren und so vielen Kilometern
vielleicht doch ein Fall für den „Ausbandler“ werden
müsste. Allein die Sitze hätte ich gerne für immer, und auch das sonst so
verlässliche Auto, das ich vor 180 000 km einem Verleger abgekauft hatte, habe
ich lieber ganz und gepflegt. Es sollte noch 10 Jahre fahren, dann ist es auch
ein Oldtimer.
Inzwischen ist alles wieder gut, der
Erholungsurlaub für Kombi und dessen Klimaanlage, die ihn lahmgelegt hatte, hat
sich bewährt, die Rückfahrt über 1000 km verlief klaglos.
Und meine Karriere als „Ausbandler“? Die hat sich zerschlagen, denn der Weg auf den
Berg hat P. und das Fahrrad einander nähergebracht, und diese Welle der
Sympathie hat mich überwältigt. Das Rad bleibt ganz und wird hergerichtet.
Ein Lenker und eine Sattelstütze aus
Aluminium, epochengerecht? Na, das wird sich doch auftreiben lassen.