rainer rosenberg

 

 

Hauptsache es rollt

 

Der schöne Geist fliegt

 

Was ist wohl auf der Rückseite des Würfels zu sehen, den Walter Schmögner auf seinem Bild wie einen Satelliten um das Gesicht kreisen läßt, das zusammengesetzt scheint aus eben diesem Würfel und vielen weißen und farbigen Strichen auf schwarzem Grund?

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Aber was ist schon „schwarz“? Vor lauter Dunkel kann man es nicht sehen. Deshalb wohl musste eine schwarze Katze irgendeinen hellen Fleck haben, damit sie in Zeiten der Inquisition überleben durfte. [1]

Wenn man schon nicht des Teufels, des Herren der Finsternis, Herr werden konnte, musste man als guter Katholik die unschuldigen schwarzen Katzen massakrieren, die Tiere, die den Hexen auf den Schultern sitzen.

Ein Würfel also in Nasenhöhe des Gesichts. Hell wie das Licht, genauso wie die Spuren der freigelegten Synapsen, Neuronen: Gedanken des Wesens, das sich aus der Dunkelheit der Ursuppe wagt. Da ein Blitz, dort ein Krähenfuß. Die Augen des Wesens – ob es wohl von der Helligkeit des Würfels geblendet ist? – sehen, wie die Rückseite aussieht. Sieht der Würfel aus diesem Blickwinkel überhaupt blendend hell aus, oder ist er dunkel, wie ein Stealth-Bomber unsichtbar für überwachende Radaraugen, und erst recht für die Augen einer Zeichnung.

 

Die Augen einer Zeichnung

Täusche ich mich, wenn ich in einem Auge wiederum ein Gesicht zu erkennen glaube, einen der Venus von Willendorf verwandten Kopf? Und das andere Auge – irre ich, wenn ich darin ein häufig verwendetes Motiv des Künstlers zu erkennen glaube, eine Birne?

 

 

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Walter Schmögner ist Grafiker, Kinderbuchautor und -illustrator, Maler, Bildhauer und Bühnenbildner. 1943 in Wien geboren, verbringt er seine Kindheit in Spanien - in Toledo. Geprägt von seinem Vater, dem Maler Theobald Schmögner, absolviert er eine Ausbildung zum Grafiker in Wien. Mit seinem ersten Kinderbuch, dem "Drachenbuch" - einem Bestseller - wird Schmögner 1969 einem breiten Publikum bekannt.
Christoph Winder schrieb im "Standard" anlässlich der 500. Folge seines Co&Mix über den Künstler: "Das Erwartbarste an Schmögner ist freilich seine Unerwartbarkeit.“ Und anlässlich einer Ausstellung mit Schmögners Skulpturen war zu lesen: "Augenblicklichkeit kann eine Skulptur gegen Erstarrung wappnen. Kein Kampf mit dem Material. Nicht schleifen, nicht schlagen, nicht spalten - biegen und bauen, bemalen und inszenieren ist des Künstlers Alternative. Die Ewigkeit besteht nicht im Überdauern, sondern im Jetzt."
Dies war möglicherweise ein Leitgedanke Klaus Albrechts Schröders als er Schmögner Skulpturen in einer Ausstellung in der Albertina in Kontrast zu Meisterwerken der Malerei des 20.Jahrhunderts setzte: die filigranen Figuren auf ihren vom Künstler gestalteten Sockeln traten in einen lebendigen Dialog mit Bildern der Ausstellung "Warhol bis Richter". Walter Schmögner wohnt und arbeitet in seinem Vierkanthof im südlichen Burgenland und in Wien.

 

Alles Leben trägt den Tod in sich, mit Walter Schmögners Briefmarke wurde Verwesung per Post transportiert, aber mit seinen Bildern lässt er neben Atomkatastrophen Seelen fliegen. Unsterblich, wie die Seelen, die uns die Religionen gleichzeitig als Trost und zur Verhöhnung anbieten. Walter Schmögner gibt seinen Seelen ein Aussehen zarter fliegender Insekten, der Libellen.

 

Die unterschiedlichen Leben der Libellen

Libellen als das, was wir uns darunter vorstellen, werden meist nur 6 bis 8 Wochen alt, eine besonders langlebige Art kann inklusive Kältestarre fast ein Jahr alt werden, aber die Hoffnung auf ein fröhliches Leben haben die Libellen, wohl in der Zeit, in der sie Walter Schmögner nicht als Seelenverwandte darstellt: in der bis zu 5 Jahre dauernden Lebenszeit als Larve. Im Wasser. Was also ist eine Libelle – ein Schwimmtier oder ein fliegendes?

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Wenn man – wie auch Walter Schmögner – Sexualität als wesentlichstes biologisches Thema sieht, dann ist wohl der körperliche Zustand als glücklich gemachte Seele das Ziel. Nicht der Weg dorthin ist das Ziel, sondern die Vermehrung. Wie bei den Libellen, die uns nur dann prächtig erscheinen, wenn die kurze Lebenszeit sexueller Reife angebrochen ist.

Die Würfel sind in die Luft geworfen, welche Augenzahl sieht man im Flug, welche, wenn sie gelandet sind? 1,2,3 wie in Schmögner Bild, die zu erwartende Rückseite mit 4,5,6? Ist der Würfel ein Spielgerät, etwas Motorbetriebenes oder ein Sprengsatz?

Alea iacta est. Jetzt muss der Rubicon nur noch überschritten werden. Das Ergebnis sieht man danach.

Oder geht es mit den Ansichten des Lebens nicht nur wie mit Schmögners Würfelnase, sondern wie mit der vielbesungenen Rückseite des Mondes, sieht man sie nur vom kreisenden Raumschiff aus, selbst dann, wenn es nur als fantasierter Würfel um einen Kopf kreist, der sich im dunklen Universum nur schwer zurechtfindet.

 

Sich erinnern

28 Kartenpaare bilden ein würfeliges Frühwerk Walter Schmögners: er, das ewige Kind, hat für Kinder von Tankstellenkunden ein Memory geschaffen, das zu dieser Reihe von Texten passt: „Hauptsache es rollt“. Zum Beispiel das Sofa mit einer Art Paisley Muster, Zweitaktmotorbetrieben rast neugierig darauf sitzend ein Hund durch die Welt.

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Dieser Hund muss nur aufpassen, dass ihn nicht ein eifriger Jäger mit einem Wolf verwechselt, grau wie sein Fell ist. Vielleicht fährt ja der Hund (oder ist er doch ein Wolf?) zum Försterball, so wie der Bär, der sich unter seine Jäger mischt und als Oberförster akzeptiert wird, aber das ist eine ganz andere Bilder-Geschichte Walter Schmögners zum Text von Peter Hacks..

 

„Jedes Wesen ist ein Schrei danach,

anders gelesen zu werden.“

 

schreibt Peter Handke in „Die Geschichte des Bleistiftes“. Auch für Walter Schmögner ist der Bleistift Ausgangspunkt all seiner Kunst, damit schafft er seine Figuren, die auch bei ihm danach schreien „anders gelesen zu werden“ in den vielen Räumen unterschiedlicher Möglichkeiten.

Keine Geschichte ist, dass Walter, wann immer er bildende Kunst entstehen lässt, „zeichnet“. Selbst wenn er Skulpturen baut, bleiben sie zart und sogar, wenn sie schwarze Löcher aufsaugen sollen wie der „Schwarzlochsauger“, verwendet er feinste Materialien und behandelt sie so, dass sie noch fragiler scheinen. Sein Vater war ein starker künstlerischer Einfluss, genauso wie die Trümmer des Nachkriegswien und die Sonne Spaniens, wo er seine Kindheit verbracht hat. Ausbildung als Grafiker, Aufträge für Werbung, Kinderbücher, sowohl gezeichnet als auch geschrieben, sich mit nicht weniger zufriedengebend als mit einer eigenen Geschichte des Universums – seiner „unendlichen Geschichte“, die sich als Zyklus von Vergrößerungen und Verkleinerungen lesen lässt. Wir können hoffen, dass das Universum, das der Schwarzlochsauger geschluckt hat, sich zu einem neuen Urknall aufrafft: mit mehr Liebe, weniger Gewalt und dann einmal eine Welt für Kinder jeden Alters wird.

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Eine Kreislaufwirtschaft der Hoffnungen, egal ob die Seelen wandern oder neu geboren werden auf ihren rätselhaften Wegen zwischen Existenz und Nicht-Existenz. Spiegeln sich die vielen möglichen Welten Schmögners in den Bildern oder in den Augen der Betrachteten?

 

Schwarz, grau farbig

Walters Kopfbehaarung bleibt schwarz, auch wenn er gerade 80 geworden ist, oft ist er – vielleicht aus Solidarität mit den teuflischen schwarzen Katzen – schwarz gekleidet. Weise vorausschauend hat er schon jetzt eine schwarze Urne machen lassen, mit hundeartigem Körperbau, aber auch zum Rollen und hinter sich herziehen geeignet. Noch ist sie leer. Und Walter wird erst viel später grau sein, dann nämlich, wenn er es sich in seinem Hund auf Rädern bequem gemacht haben wird. Dazu ist noch sehr viel Zeit. Wohl die eine oder andere Ewigkeit.

 

 

Ausstellung bei conClusius, Güssing:

„Walter Schmögner: Der schöne Geist“.

 

Vernissage: Samstag, 26. August 16h. Öffnungszeiten: Di-Fr. 9.00 – 18.00h, Sa 9.oo – 13.00h.

Von 26. August bis 25. Oktober, 7540 Güssing, Clusiusweg 2/1

 

 

Tempo ohne Eile

3.8.2023



[1] Papst Gregor IX. (1147 - 1241) verkündete gar in seiner Bulle „Vox in Rama“ von 1233, schwarze Katzen seien Diener des Teufels und müssten vernichtet werden – was zu seiner Zeit eine regelrechte Vernichtungswelle auslöste. Auch die Päpste Innozenz VII. (1336 - 1415) und Innozenz VIII. (1432 - 1492) waren nicht besonders freundlich gegenüber den Haustieren: Millionen von ihnen landeten zusammen mit vermeintlichen Hexen auf dem Scheiterhaufen.“ - Kirche und Katze - eine Spurensuche (katholische-kirche-steiermark.at) abgerufen 22.8.23, 9h58