rainer rosenberg

 

Hauptsache, es rollt

 

 

Journalistischer Alltag

mit literarischen Feiertagen

 

 

Erinnerung an Herbert Völker

 

Am 18. August 2002 wurde die 50. Folge der Ö1 Reihe „Chronisten, Reporter, Aufklärer“ gesendet, vorgestellt wurde der am vergangenen Sonntag, den 1. Juni gestorbene langjährige Chefredakteur und Herausgeber der Autorevue. https://oe1.orf.at/artikel/695859/Voelker-Herbert

Der Text begann so:

„Der erste Formel 1 Grand Prix, der in Österreich jemals durchgeführt wurde, hatte zwei Sieger: den Rennfahrer Lorenzo Bandini, der das Rennen in Zeltweg auf Ferrari gewann und den damals 20-jährigen Sportreporter Herbert Völker, der für das „Kleine Volksblatt“ eine Reportage schrieb - den besten Artikel über den Großen Preis, wie eine Jury feststellte.

Und auch Herbert Völker erhielt einen großen Preis: eine Reise zu den olympischen Spielen nach Tokyo im selben Jahr, die sich die ÖVP-Parteizeitung sonst nie hätte leisten können. Dort wiederrum war Herbert Völker der jüngste akkreditierte Journalist. Drei Jahre später, 1967, stieg Herbert Völker bei der damals noch ganz jungen Autorevue ein“.

Das war das Jahr in dem Lorenzo Bandini in Monte Carlo tödlich verunglückte.

 

Ein Kanon des österreichischen Journalismus mit einem Motorjournalisten?

Die Ö1-Reihe kam auf Initiative des damaligen Ordinarius des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien Wolfgang R. Langenbucher zustande und ich war gar nicht sehr erstaunt, dass Herr Professor bei der Erstellung der Liste von 100 zu kanonisierenden Journalist*innen sofort auf meinen Vorschlag „Herbert Völker“ einging. Er kannte Völkers Texte und hatte schon immer ein Faible für literarischen Journalismus, auch wenn er den Umgang mit Autos betraf. 1968 schrieb Völker zum Beispiel über den damals neuen Lotus Europa: „Dieses Auto verleitet die Jugend“ und allein in diesem Satz klingt die Revolte dieser Zeit, die Suche nach anderen Wegen (und auch Wägen) mit. Der selbst noch junge Chefredakteur (er hatte noch 5 Jahre Zeit, bis der damals verbreitete Spruch „Trau keinem über Dreißig“ unangenehm auf ihn zutraf) lobte in seinem Blatt auch einen kleinen NSU mit starkem Motor, weil man damit den üblichen „Macht“-Verhältnissen auf der Straße ein Schnippchen schlagen könne – und kaufte ihn auch privat:

„Giftzwerge halten uns jung im Straßenverkehr. Nicht die grell bepinselten Schreihälse, die machen nervös. Ein ruhiges, sanftes Auto mit der bescheidenen Kleine-Leute-Karosserie, ein Automobilchen, das um 15 Blaue billiger aussieht als es ist – wenn ein solches Wägelchen plötzlich Feuer spucken kann, wenn es die teuren Dicken stehenlässt, das ergibt die kleinen Freuden auf grauen, stinkenden Straßen.“

Völker war für mich damals 15-Jährigen einer der vielen Boten, die sagten „1968 – da ändert sich die Welt“. Ich bekam damals die Studierendenproteste mit, den Einmarsch in der Tschechoslowakei, war Fan von Dubcek, den Beatles und Jochen Rindt. Von den jungen Revolutionären der Studentenrevolte gefiel mir Daniel Cohn-Bendit in Paris am besten.

Die Autorevue, Völker war damals schon ihr junger Chefredakteur, kaufte ich monatlich.

 

Dass ihn Langenbucher als einzigen Autojournalisten in einer Reihe mit Joseph Roth akzeptierte, wunderte mich weniger als alle anderem am Tisch, auch wenn Völker Philipp Roth Joseph vorzog. Diesbezüglich kam es Jahre später im Cafe Gutruf zu freundschaftlichen Auseinandersetzungen, aber Völker, Jahrgang 1943, war eben von der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts geprägt. Da konnte er Rallyes literarisch bearbeiten wie Heldensagas, aber er konnte auch Alltagsautos liebevolle Attribute zugestehen. Sie sollten ihm aber auch Freude machen können, das war eine Grundbedingung.

Um weiterhin ohne um dessen Existenz zittern zu müssen dieses „Wohnzimmer“ behalten zu können, kaufte er 1992 gemeinsam mit Teddy Podgorski und Peter Allmayer-Beck das „Gutruf“, die drei gaben auch ein Buch zur vielfältigen Geschichte des Lokals heraus, nun sind alle drei selbst Geschichte.

 

„Chronisten, Reporter, Aufklärer“ hieß die Reihe im Radio, und selbstverständlich kamen in diesem „Kanon des österreichischen Journalismus“ auch zahlreiche Chronistinnen, Reporterinnen und Aufklärerinnen vor, aber damals musste die weibliche Form noch nicht in die Überschriften, wir bemühten uns jedenfalls, einen zu großen männlichen Überhang zu verhindern.

 

Drei Fragen noch zum Leben des Journalisten Herbert Völker:

War er Reporter? Eindeutig, schon sein Text im Volksblatt über den Großen Preis von Österreich im Jahr 1964 erhielt eine Auszeichnung.

Ein Chronist? Er begleitete die Entwicklung des Automobils und der handelnden Personen durch mehr als sechs Jahrzehnte, von den Abenteuern im Motorsport bis zur Entfremdung durch elektronische Systeme.

Und dann die Frage nach dem Aufklärer: da gibt es viele Antworten - Herbert Völker prägte eine Generation von Journalist*innen, die, wenn sie über Autos schrieben, auch die Welten jenseits des Fahrens im Auge hatten, er beschrieb nicht nur viele Wege sondern auch mitunter einander widersprechende Ziele und benannte das, was er als Verirrung betrachtete. Was könnte ein Aufklärer mehr tun?

 

Ich habe also das kurze Porträt für den Journalismus-Kanon im Radio gestaltet, es ist im Ö1 Archiv zu finden und hier anzuhören: Völker, Herbert - oe1.ORF.at

 

 

Weitere Links: Autorevue, Der Standard