rainer rosenberg

 

 

genug gefragt

 

 

Streichen statt entwickeln

30.11.2018

Wie oft muss man etwas hören, bis es tief in das Bewusstsein eindringt? „Wenn uns etwas fad wird, dann beginnt es möglicherweise beim Publikum dauerhaften Eindruck zu machen“ sagte einmal ein Kollege bei Ö1 und wenn man die stereotypen Wiederholungen vieler PolitikerInnen hört, dann könnte man meinen, Wiederholung wäre mehr als zielgerichtete Kommunikation, sie wäre Ablenkung von anderen Themen. Aussagen, die sich unabhängig von ihrer Sachbezogenheit ins Gedächtnis schleichen und das Bewusstsein verändern. Oft wiederholt glaubt man seine Lügen selbst.

Wenn allerdings zum Beispiel wiederholt gesagt wird, Migration z.B. aus Afrika würde verhindert, wenn nur vor Ort Anstrengungen zu einer Verbesserung der Situation unterstützt würden, weil ja dann Fluchtgründe wegfallen würden, dann scheint dieser Satz nicht ins Bewusstsein der dies sagenden PolitikerInnen zu dringen, es scheint eine Schutzbehauptung zu sein. Denn niemand kann sich wirklich vorstellen, wie es zum Beispiel funktionieren soll, die Staatskrisen in Bürgerkriegsländern (besonders aktuell derzeit: Zentralafrikanische Republik) mit europäischer Unterstützung zu beenden, dafür ist noch niemand ad hoc klug genug, man kann nur die Zahlen Hungernder und von Flüchtlingen schätzen. Im Land und über die Grenzen in Nachbarländer (im konkreten Fall: die beiden Sudan, die demokratische Republik Kongo, Tschad…), der Weg nach Europa ist ohnedies zu weit.

 

Elend als Weg zum Erfolg

Allerdings – das Elend der Menschen und die daraus resultierenden Fluchtbewegungen sind in letzter Zeit die Basis für die Erfolge zahlreicher europäischer Parteien. Nicht die empathische „Wir schaffen das“-Haltung hat Menschen in Europa längerfristig motiviert, sondern das Ausnutzen von Differenzen – „arm“ gegen „reich“ in einem Land war gestern, „wir“ gegen „die anderen“ ist heute. Und da werden die Unchristlichsten zu Christen, führt man Kreuzzug daheim und kürzt gerne die Mindestsicherung auch für die eigenen WählerInnen, wenn das nur mehrheitlich Andere trifft, die viele Kinder haben, oder schlecht Deutsch können und/oder wenig Schulbildung haben.

Besonders einfach ist es, „Andere“ am Äußeren zu erkennen: an Augen- und Hautfarbe, an Kleidungsmoden, auch wenig sichtbare Eigenheiten wie Religionszugehörigkeiten können da hilfreich sein, die Kippa wagt man nicht mehr zu thematisieren, bei der Kopfbedeckung von Sikhs kann das schon passieren. Vom Kopftuch ganz zu schweigen. Aber falle ich jetzt auch in die Ablenkungsfalle, sind diese Debatten nicht langweilig, sind nicht schon alle Argumente gesagt und ziemlich klar zu bewerten? Ist es tatsächlich Konsens, dass Einschränkungen vor allem dann gut sind, wenn sie „Andere“ betreffen und damit Spaltungen vertiefen? Wenn man Menschen mit Problemen als einem selbst ähnlich erkennt, wird es schwierig, da kann eigene Leistung zu Glück schrumpfen und Versagen zu Pech. Und immer gilt Karl Valentins Satz „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.“

 

Von der Spaltung zum Feindbild

Feindbilder braucht, wer Krieg führen will. Feindbilder braucht, wer eine Massenbewegung schaffen will, die geeint ist durch Ablehnung. Feindbilder braucht, wer sich selbst ohne Grund besser fühlen will.

Wenn z.B. das Einsperren von Jugendlichen in Lagern mit deren „Schutz“ argumentiert wird (Wieso fällt mir da der Begriff „Schutzhaft“ der Nazis ein?), der italienische Innenminister konsequent gegen Einrichtungen vorgeht, die sich für die Integration von Asylwerbern einsetzen, wenn in den USA Menschen massenhaft von Journalisten verlangen, eine Wahrheit zu sagen, die aus Lügen konstruiert wird, dann sind wir in einem Wettrennen der Narrative, das aus vielerlei Gründen die simplen Versionen gewinnen könnten. Mit Emotionen, die in den Katechismen als schwere Sünde bezeichnet werden, mit Aggressionen, die jeweils „Andere“ treffen, mit Vorbildern, die gerne darauf verzichten, als „zivilisiert“ gelten zu wollen.

 

Entwicklungsforschung

Aber kommen wir auf das Beispiel mit Afrika zurück und auf die Argumentation, man müsse vor Ort unterstützen um Flucht überflüssig zu machen – da gibt es in Wien eine Kommission, die seit Jahren Entwicklungsforschung betreibt und Projekte unterstützt und Öffentlichkeitsarbeit macht – von Projekten die kleinen Bauern in Äthiopien helfen sollen, mit den Folgen des Klimawandels umzugehen, über den Ausbau der Lamahaltung in den peruanischen Anden bis zu international verbreiteten Radiosendungen und Podcasts. Man möchte meinen, eine Organisation, die schon genau das tut, was sich die österreichische Regierung nun vorgenommen hat. Und was passiert? Mit Jahresende muss die Kommission für Entwicklungsforschung (KEF) ihre Tätigkeit einstellen. Das bescheidene Budget würde für etwas Anderes benötigt, heißt es, wofür ist noch nicht bekannt, die Trägerorganisation, der OeAD (Österreichischer Austauschdienst) scheint machtlos, das leitende Kuratorium ebenfalls. Im Internet findet sich eine Protestseite, ob sie von den entscheidenden Adressaten gelesen wird, weiß man nicht. Bestehende Einrichtungen schließen statt verändern, scheint das Motto, selbst in kleinsten Einheiten Machtverhältnisse ändern. Dazu findet man auf der Protestseite Sätze wie jene von Josef Schmidt, der ganz seriös als langjähriges Mitglied der KEF auch bereit zu Selbstkritik ist, aber

„Von einer Administration, die das Ziel vorgibt die Ursachen von Armut und insbesondere Migration vor Ort bekämpfen zu wollen, erscheint nicht nur dies beschämend. Österreich hat heuer auch die Forschungsbeiträge an die internationalen Agrarforschungsinstitutionen der Weltbank ausgesetzt. Wie mir mitgeteilt wurde, weil man erst eine Strategie entwickeln möchte. Nun ist das eigentlich nicht die Art, jahrzehntelang gewachsene Forschungsnetzwerke, die doch eindeutig dem oben angeführten Ziel entsprechen, am Leben zu erhalten. Man kann Rahmenbedingungen ändern, eine bessere Strategie verfolgen, aber man bricht nicht gewachsene Netzwerke ab, so lange man keine entsprechende Kritik vorbringt und/oder eine Ersatzstrategie hat.“

So schwer es sein mag, gewachsene Strukturen zu verändern, die Methode „gordischer Knoten“ ist die Methode eines Heerführers der Antike und nicht die in Demokratien übliche, schließlich besteht in Demokratien der Bedarf auch verknotete Seile weiter verwenden zu können.

 

PS:

Dies ist meine Stellungnahme auf der oben genannten Seite:

Seit Jahren gestaltet das Team der Kommission für Entwicklungsforschung Radiosendungen auf Ö1 Campus und trägt damit dazu bei, dass über internationale Zusammenarbeit und wissenschaftlichen Austausch berichtet wird und Ergebnisse der Arbeit spürbar werden.

Die Sendungen sind als Podcast ein besonders großer Erfolg und als jahrelang im ORF dafür Verantwortlicher muss ich zugeben, dass ich auf diese Erfolge stolz war.

„Welt im Ohr“ ist nicht nur ein hervorragender Sendungstitel, die einzelnen Sendungen haben Perspektiven geöffnet und den Diskurs über Entwicklungspolitik befördert. Dies stellt eine wesentliche Basis für Fortschritte in der Entwicklungszusammenarbeit da: dazu braucht es nicht nur politische Entscheidungen sondern auch den Willen der Bevölkerung und der PartnerInnen in Projekten gemeinsam Ziele zu entwickeln und zu erreichen. Dies ist schwierig genug und braucht Unterstützung. Die ständige Rede von „Hilfe vor Ort“ wird durch die Streichung der Finanzierung für Organisationen wie der KEF konterkariert, eine angekündigte Neuorientierung bleibt diffus.

Deshalb sollte es um einen Ausbau der Mittel gehen und nicht um eine Streichung. Ich hoffe es ist diesbezüglich noch nicht das letzte Wort gesprochen und Expertise und Engagement des KEF Teams können weiterhin der Entwicklungsforschung zu Gute kommen.

 

Ätherfreiheit

30.11.2018