rainer rosenberg

 

 

genug gefragt

 

Kein Labor Europas

 

Gerade, als ich über eine geeignete Fahrradtourroute nachdachte, fiel mir eine ein. Leicht ansteigend, kühl, von Bergen eingerahmt, ichkönnte doch das Rad in den Kofferraum legen und zum Beginn der Straße fahren und dann diese nette Runde machen, dachte ich. Gleich vor der Haustür gewissermaßen.

Was war der Fehler? Die Straße ist nicht im Wienerwald sondern in Ligurien und ich bin gerade in Wien. War das ein Flashback in den vorbeigegangenen Urlaub, oder der Wunsch nach einem anderen „zu Hause“, einer Gegend, in der man nicht jeden Blödsinn versteht, der gerade in irgendeinem Dialekt gesprochen wird und wo sogar Vielleicht-Unsinn nach Musik klingt? Oder war es, dass ich vor ein paar Tagen die Francesco de Gregori CD mit Dylan-Bearbeitungen herausgekramt habe und auf meiner letzten Autofahrt öfter gehört habe? „Via della povertá“ (desolation road) oder servire qualcuno“ (gotta serve somebody) z.B. – wunderbar. Inzwischen auch schon drei Jahre alt, aber wenn Dylan hält, die Ambros Versionen (LP Wie im Schlaf, 1978) halten, wieso sollte es bei de Gregori anders sein.

 

In den 1970er und 1980ern habe ich es noch geglaubt: Italien ist das politisch-soziale Labor Europas. Im Guten wie im Schlechten: Faschismus erfunden, bei der Studentenbewegung dabei, Eurokommunismus (Enrico Berlinguer, und schon Antonio Gramsci war ja auch sehr eigenständig).

 

Via della povertá?

Gut, die Cantautori gab es schon in den Vereinigten Staaten und in England, aber die Stadtindianer („Befreit die Tiere im Zoo!“), die natürlich die Befreiung des Menschenzoos meinten, den sich die Kapitalisten halten, die gab es dort nicht.

Ja, auch im Terrorismus war Italien vorne (egal ob schwarz oder rot), beim organisierten Verbrechen und beim Populismus - eine ganze Nation ließ sich dann weniger von Utopien begeistern, als von einem begabten Gauner, der die Politik brauchte, um Immunität genießen zu können…

Mein Italien mit der Grenze in Tarvisio, wo bei der Rückfahrt von den Zöllnern das Motoröl meines Alfa Romeo überprüft wurde, ob es nicht verdächtig neu aussieht und ich im Begriffe sei, ein Zollvergehen zu begehen, es war ein Italien der Hoffnung, denn schließlich gab es grundsätzliche Auseinandersetzung – die staatsstreichnahe Loge P2 wurde enttarnt, die Richter deckten viele Verflechtungen auf („mani pulite“ mit dem noch immer mutigen Leoluca Orlando, jetzt wieder einmal Bürgermeister von Palermo).

Licht und Schatten in der italienischen Gesellschaft schienen mir damals ziemlich klar unterscheidbar, ähnlich wie am Strand die Zone unter und die neben dem Sonnenschirm… Aber jetzt?

 

Jetzt kann ich in der ehemals liberalen Zürcher Weltwoche lesen, wie Roger Köppel „Europas gefährlichsten Politiker“ bewundert, den italienischen Sicherheitsminister, er schicke sich an, Europa aufzumischen - und der Politiker und Journalist Köppel ist begeistert. Dabei erinnert seine Partei auch an die Partei Silvio Berlusconis: die Familie der Leitfigur der Schweizerischen Volkspartei, Christoph Blocher, gehört zu den reichsten Schweizer Familien. Anders ist dies bei der italienischen Lega – wegen Betrugs schuldet sie dem italienischen Staat 49 Millionen Euro. zahlbar so ein Übereinkommen mit dem Gericht allerdings in jährlichen Raten zu 600 000. Macht ohne Zinsen eine „Kredit“-Laufzeit von 81 Jahren.

 

Italien scheint es, ist doch wieder Labor Europas - diesmal nicht für die Toskana Fraktion der deutschen Linken sondern für Anhänger eines regierenden nationalistischen Populismus. Gerade hat die Lega die Regional-Wahlen in den Abruzzen gewonnen, den Regierungspartner mit den fünf Sternen erschreckt. Dass das Neue, das da jetzt nicht nur im Norden Wahlen gewinnt, vor kurzem noch das Land teilen wollte? Es ist vergessen. Und für das Vergeben sind wohl andere Instanzen zuständig.

 

Grandissima colpa

7.1.2019