Gegenstand
Abstraktion Dimension
Am 7. Dezember hatte ich die Ehre zur Ausstellungseröffnung der beiden
Künstler Heinz Günther und Paul Leitner ein paar Überlegungen zu sagen. Vater und
Sohn stellen bis 29. Feber 2020 im conClusius in
Güssing aus. Ich begann mit dieser Frage:
Ist am Anfang der bildenden Kunst tatsächlich das Zeichnen?
Max Weiler ließ seine Studierenden zuerst mit 6H Bleistiften oder auch
Silberstiften zeichnen. Die sind so hart, dass fast kein Grafit auf dem Papier
bleibt, man also fast kein Ergebnis der Arbeit sehen kann. Man muss ganz genau
schauen.
Im wahrsten Sinne des Wortes: eine harte Übung.
Ich habe schon mehrere Künstler, die bei Weiler an der Akademie für bildende
Künste studiert haben, getroffen, die davon erzählt haben, und ich möchte
fragen, ob nicht solche Arbeiten ein erster Schritt in die Abstraktion sind,
auch wenn gegenständlich gezeichnet wird. Auch wenn „abstrakt“ in der Kunst für
viele bloß „nicht gegenständlich“ bedeutet. Drei Dimensionen werden zwei, Raum
wird Fläche, Massives wird filigran.
Neue
Wirklichkeiten
Zeichnen und Malen kann keine zweite Wirklichkeit ergeben, es entstehen
neue Wirklichkeiten. Der erste Schritt führt zu einer neuen Wirklichkeit im
Werk, und im nächsten Schritt entsteht eine weitere Wirklichkeit durch die
Wahrnehmung der Betrachtenden. Bild. Denken Sie an Rene Magrittes Bild „Das ist
keine Pfeife“, in dem eine Pfeife dargestellt wird.
Philosophisch beschäftigen wir uns seit abertausenden Jahren mit der
Frage der Abstraktion:
Das
Lexikon sagt: „Abstraktion ist ein gedankliches Verfahren, durch das von bestimmten gegebenen, jedoch als unwesentlich erachteten
Merkmalen eines Gegenstandes abgesehen wird. Auf
diese Weise soll sich das Augenmerk auf das Wesentliche konzentrieren.“
Die Entstehung der menschlichen Sprache vor 50 000 bis 100 000 Jahren hat mit Abstraktion zu tun und letztlich der Schluss vom Speziellen
zum Allgemeinen. Die Bezeichnung von Dingen ist eine Abstraktion.
Wenn einem zum Beispiel bei einem Bild Heinz Günther Leitners der Begriff „pazifisches Licht“
einfällt, dann kann man auf diese Weise nicht das Bild beschreiben. Man kann
nicht einmal die Küste von San Francisco damit beschreiben, aber – in Kenntnis
oder sollte ich sagen in Erinnerung an beides – lässt sich eine Information
imaginieren: man könnte die Behauptung wagen, es könnte sein, dass Heinz
Günther Leitner von dem Erleben dieser Lichtstimmung beim Malen dieses Bildes
inspiriert war. Und siehe da – beim Treffen erzählt der Künstler, er sei von
1970 bis 1972 in Kalifornien gewesen, und in New York. Dort geht allerdings die
Sonne über dem Meer auf, nicht unter.
Cezanne und
Handke
„Wichtig ist, dass man weiß, dass das Gehirn malt“ sagt Heinz Günther
Leitner und er erinnert an Paul Cezanne und der Mont Saint Victoire, jenen Berg
in der Nähe von Aix-en-Provence, den Cezanne so oft in den unterschiedlichsten
Lichtstimmungen gemalt hatte. Post-Impressionismus, auch das ein weiterer
Schritt in den Stufen der Abstraktion in der Malerei.
Peter Handke widmet sich dem Berg und auch Cezanne in seinem Buch „Die
Lehre der Sainte Victoire“, und 1980 schrieb Wolf Michaelis in einer Rezension
in der Zeit:
Dieses Buch
zeigt, „alle Merkmale eines Werkes des Selbstzweifels, aber auch der
Selbstvergewisserung.“ Und als letzten Satz:
„Jetzt träumt
Handke davon, nur noch ein ‚freundlich schweigender Leser‘ zu sein – aber wortselig
steigt er ins Gebirge des Schweigens“.* Ein Satz, der übrigens zu den gegenwärtigen Handke Debatte,
mehr als zu passen scheint, vor 39 Jahren geschrieben.
Aber auch das Gebirge des Schweigens wird beleuchtet, vielleicht durch
Musik, ganz sicher durch Bilder. Die Abstraktion leuchtet in Ecken, die im
Gegenständlichen dunkel bleiben.
Die Betrachtenden stehen staunend davor oder missbilligend. Verwechseln
Bild mit Abbildung, vergessen, dass ihr Gehirn die Bilder entstehen lässt, samt
den zugehörigen Emotionen.
Leuchten im
„Gebirge des Schweigens“
Wenn man ein Bild beschreibt,
beschreibt man zu einem guten Teil sich selbst. Und natürlich beschreibt man
auch sich selbst, wenn man ein Kunstwerk schafft. Der Weg zum Dreidimensionalen
– also auch zum Werk von Paul Leitner – führt auch über die Versuche
Heinz-Günther Leitners zweidimensionaler „Flachware“, wie Tafelbilder mitunter
despektierlich genannt werden, eine dritte Dimension zu schenken. Mit einer
speziellen Technik unter Zuhilfenahme eines Pentographen
schafft er zwei Bilder mit minimalen Veränderungen, die durch eine 3D-Brille
betrachtet, eine dritte Dimension sichtbar machen – zwei Bilder verschmelzen zu
einem, eröffnen aber die Dimension „Tiefe“. Aus Fläche wird Raum, und wieder
einmal können wir erkennen, wie wichtig es ist, dass wir und unsere Verwandten,
die Tiere, zwei Augen haben. Wie viele Dimensionen die Teilchen-Physiker auch
noch eröffnen mögen, Heinz Günther Leitner arbeitet an einer dritten Dimension
für seine Bilder. Für 3D-Brille, aber auch in der Konzeption anderer Werke in
denen man, wenn man will, Räumlichkeit erkennen, weil Heinz-Günther Leitner in
unkonventioneller Art mit Perspektive umgeht.
Sein Sohn Paul hat diese drei
Dimensionen schon im Ansatz seiner Arbeiten mehr als integriert, da kreisen Beamer, werden Labyrintspiele
digitalisiert, oder Muttern schreiben auf Gewindestangen Begriffe, die sie
selbst bezeichnen. Eisen zum Beispiel.
Gewindestangen sind normalerweise aus
Eisen, so wie Eisenbahnschienen. Paul Leitner hat eine auf ein Podest gelegt,
die Strecke scheint wenig befahren, hier poliert kein Zug mehr die
Berührungsfläche. Auch das ist ein Denkmal der Mehrdimensionalität: die
Bewegung im Raum wird von der Eisenbahnschiene, und der dazugefühlten
Lokomotive thematisiert.
Was dem Vater Max Weiler ist dem Sohn
Brigitte Kowanz, in beiden Fällen erhält das Wort
Meisterklasse die Bedeutung, die es ausdrückt: arbeiten mit den Besten.
Bei Paul Leitner besteht die Kunst
weniger in Abstraktion als im Herstellen neuer Zusammenhänge, fallweise kommen
da bei mir Erinnerungen an Jannis Kounellis auf.
Ein Hainbuchensamen, der von einem
Windkanal zum fliegenden Objekt wird, macht jedenfalls viele
Deutungsmöglichkeiten auf…
„Klasse für Transmediale Kunst“ heißt nun Brigitte Kowanz‘
Meisterklasse an der Angewandten, und ich darf Sie fragen, was es ist, was Paul
Leitner mit den dunklen und hellen Befestigungsgurten einpackt: trennt er
innerhalb von außerhalb, können sie alles hineinfantasieren, bis zum
gefesselten Tier, was sie wünschen, ist es drinnen oder drauf, darunter oder
rundherum. Passen sie auf, dass Ihre Fantasie es nicht aus dem Blick verliert.
Schließlich lässt sich zur Kunst von
Vater und Sohn sehr gut ein Satz des Vaters zitieren:
„Dafür sind die Künstler da, um
Schwindel zu erregen“.
Und das sei angefügt: diese Art von
Schwindel kann Orientierung verschaffen.
Wenn man sich darauf einlässt.
Ausstellung „leitnerxzwei“ im conClusius von Gernot Sieber, 7540 Güssing, Clusiusweg 2/1.
*Zitate aus: Die Zeit 42/1980