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Das große und das ganz kleine Welttheater

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Bemerkungen zu einem Gespräch mit Philipp Blom (mit Petra Herczeg und dem Autor dieser Zeilen) über sein Buch „Das große Welttheater“ im Bruno Kreisky Forum.

 

Wenn sich das Universum ausdehnt und der Planet Erde gleich groß bleibt, dann wird unsere Welt permanent kleiner – im Verhältnis zum gesamten Universum. Schließlich messen wir mit unseren Sinnen Größe spontan in Relationen. Reiche können, wo Armut herrscht, nach Maßzahlen ärmer sein als Arme in einer wohlhabenden Gesellschaft. Und unter Milliardären ist jemand, der Millionen besitzt, ein „armes Würstchen“.

Auf diese Weise könnte man auch den Begriff „groß“ verwenden. Es gibt große und kleine Ameisen, für Menschen sind sie dennoch kleine Tiere. Um zurück nach Salzburg zu kommen: soeben wurde beschlossen den „Festspielbezirk“ zu vergrößern. In den Berg soll gebaut werden. Mehr Platz für Infrastruktur und Publikum soll entstehen, um hunderte (Plan: 262) Millionen Euro. Überspitzt formuliert: das große Festspielhaus ist gar nicht so groß, und gerade in diesem Jahr 2020 war es gemessen an der Zahl der Besucher*innen kleiner denn je, gemessen am Platz, den jede*r Einzelne aus dem Publikum hatte so groß wie nie zuvor. Auch das „große Welttheater“ ist relativ in seiner Größe.

Besonders, wenn man an Shakespeares Satz aus „Wie es euch gefällt“ denkt (Akt 2, Szene 7): «Die ganze Welt ist eine Bühne und Frauen wie Männer nichts als Spieler. Sie treten auf und gehen ab danach». Verfasst wahrscheinlich 1599, genau an der Wende zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert. Ungefähr 30 Jahre später hatte Galileo Galilei seinen großen Auftritt auf der Weltbühne, und ungefähr zur selben Zeit schrieb Calderon de la Barca sein Stück, das Philipp Bloms Buch den Namen lieh. Die Frage der Regie im Welttheater begann virulent zu werden: Führt eine Ideologie (oder auch religiöse Überzeugung) Regie oder ist es ein wissenschaftlicher Erkenntnisdrang?

1632 wurde Galileo Galilei von der Inquisition vorgeladen und 1633 musste er dem heliozentrischen Weltbild abschwören. Galilei blieb bis zu seinem Tod unter Aufsicht der Inquisition und wurde erst mehr als 350 Jahre später, im Jahr 1992, von der katholischen Kirche offiziell rehabilitiert.

 

Wer sich bewegt

1655 publizierte Calderon de la Barca sein wohl in den 1630er Jahren entstandenes „Großes Welttheater“. Von der Wiege bis zur Bahre spielen und handeln archetypische gesellschaftliche Figuren gemäß der Rollen, die ihnen zugewiesen wurden (einzig dem Reichen bleibt der Eintritt in den Himmel verwehrt…)

Die Bearbeitung des Stoffes von Hugo von Hofmannsthal (1922) für die Salzburger Festspiele war bei weitem nicht so erfolgreich wie der „Jedermann“.

Mutmaßungen, warum das „Welttheater“ weniger erfolgreich war, scheinen obsolet, vielleicht war es ja die allesumfassende existenzielle Größe des Themas in den 1920er Jahren, einer Zeit zwischen von den Menschen ausgelösten Jahrtausend-Katastrophen.

Wenn Philipp Blom die kleine Eiszeit im 16. und 17. Jahrhundert als Trigger für die Verwissenschaftlichung der menschlichen Sphäre sieht und Schlussfolgerungen für die Gegenwart zieht, dann nimmt er den Paradigmenwechsel von damals als Vorbild für einen Paradigmenwechsel in einer Welt technischer Entwicklungen, die von fossilen Brennstoffen getrieben sind. Und er konstatiert eine quasireligiöse Blindheit wie damals, als der Planet Erde aus religiösen Gründen das Zentrum des Universums sein sollte.

Die Überwindung des Gaia Prinzips (Rücksichtnahme alles Entstehenden aufeinander) durch prometheischen Wahn beziehungsweise den göttlichen Auftrag „Macht Euch die Erde untertan“ sieht er als Ausgangspunkt für den drohenden Untergang durch einen nicht mehr komplett aufzuhaltenden Klimawandel.

Doch halt, Philipp Blom schreibt auch über Asterix und die Faszination, die das kleine gallische Dorf auf Jugendliche seit den 1960er Jahren ausübt – Underdogs besiegen das Imperium. In seiner optimistischen Hoffnungslosigkeit, die Paulus in seinem Römerbrief an Abraham denkend beschreibt: „Gegen alle Hoffnung hat er voll Hoffnung geglaubt“ (4,18).

Wider alles Hoffen, könnte also die Rettung kommen, vor allem wenn die Generation Thunberg wachrüttelt, den Paradigmenwechsel herbeiprotestiert. Dann allerdings sind wir wieder bei quasireligiösen Motiven und nicht bei Überlegungen, die aus der Aufklärung stammen.

 

Kleinkriege im Netz

Apokalypsen wurden schon viele vorhergesagt, das Konkurrenzwesen Mensch hat heftig daran gearbeitet, viel mehr jedenfallsals an einem jeweils nur in weiter Ferne beziehungsweise im Jenseits angesiedelten Ziel. Das eigentlich ganz primitive Ziel „Frieden“, das von sehr vielen Religionsgemeinschaften mit Krieg als Mittel (nicht wirklich) angestrebt wurde, ist nie erreicht worden: Jugendliche – vor allem Männer – wurden für viele Kämpfe begeistert, um dem Vaterland Anerkennung und Ausdehnung zu verschaffen, Feinde in die Schranken zu weisen, Überzeugungen zum Durchbruch zu verhelfen, Revolutionen zu erkämpfen an deren Ende nie der ewige Frieden stand, sondern meist Unterdrückung durch herrschende Cliquen, Regierungen, Gemeindienste.

Dieses große Welttheater aber ist durch die elektronische Revolution (ebenfalls durch junge Männer herbeigeführt) um viele kleine Welttheater ergänzt worden: in praktisch jedem Social-Media-Kanal wüten Kleinkriege. Auch zwischen unterschiedlichsten Weltretter*innen.
Nicht mehr – wie in Bruno Kreiskys Zeiten - bekämpfen einander linke Splittergruppen praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit, mit Flugblättern vor Uni-Toren. Heute haben die Zersplitterten große Öffentlichkeit dank Kommunikations-Technologien, die strukturell Auffallendes, Extremes belohnen: Konflikt, Aufregung und Blödsinn, prägnant formuliert, schafft Traffic im Netz.

Pro und Contra Elektroauto, pro und contra Putin, Streit in der Regierung, das Wort „Aufreger“ bezeichnet die Methode der Boulevard Medien, die in den Social-Media-Kanälen privatisiert und vereinzelt wurde. Jedem sein Theater, ohne große Dramaturgie in Bögen. Stattdessen: Eine Dramaturgie in Rülpsern.

 

Buch: Philipp Blom: Das große Welttheater. Von der Macht der Vorstellungskraft in Zeiten des Umbruchs. Zsolnay, Wien 2020.

 

Evidenz – der Hase im Pfeffer

7.5.2020