rainer rosenberg

 

genug gefragt

 

 

Finster schauen

 

Eigentlich sollte es ja eine Sonnenbrille werden, die heller wird, wenn keine Sonne scheint.

Aber man kann die Sache auch umdrehen – statt selbstverfärbend kann man so eine Brille selbsterhellend nennen. Und das wäre im übertragenen Sinne doch überhaupt eine große Chance: Die neue Aufkla(e)rung kommt vom Optiker.

Ein ehrenwerter handwerklicher Beruf verbunden mit High Tech und Medizin.

Wenn man sich das leisten will, kann es auch eine Sache des Vertrauens sein. Schließlich kann überall etwas schiefgehen. Zum Beispiel beim Optiker im Ferienort.

Davor stand das Abenteuer: hatte eine nette Kurzsichtigensonnenbrille, ging mit Neffen ins Wasser. Und dann kam die Welle – Kind schnappen hochheben, Kind bleibt trocken, mein Kopf unter Wasser, Brille weg. Einmal spürte ich sie noch mit den Zehen, Kind raustragen wiederkommen, Brille suchen, tauchen, weg. Inzwischen rief der Bub um Hilfe „Problem, Problem, wir haben ein großes Problem“, es wurde eine Suchkette gebildet, wie wenn im Krimi im Wald eine Leiche gesucht wird, allein das Meer war schneller.

Also gut, der Optiker im Ort wirkte vertrauenserweckend, und fähig nach dem Muster der Normalbrille eine Sonnenbrille herzustellen. Mit der konnte ich dann nicht lesen, zurück an den Start, nach dem Urlaub kam eine zweite Version, besser aber noch immer nicht gut.

Also Fassung genommen, zum wirklichen Optiker des Vertrauens gegangen und schau, schau, der fand heraus, dass der zentrale Punkt der Gläser wieder nicht getroffen worden war. Er fand dann für die dritten Gläser den gesuchten Punkt, alles gut.

Jetzt aber, nach dem Augenarztbesuch brauchte ich wieder neue Gläser, die Fassung war inzwischen schon etwas brüchig geworden, aber so ähnlich sollte sie werden die neue Sonnenbrille, mit der man auch in der Nacht gut sehen kann.

 

Brillen machen Gesichter

Seit 40 Jahren trage ich nun eine achteckige randlose Brille. Ich bin damit gegen Halteverbotsmasten gelaufen, habe sie vielfach verbogen, Teile wurden gewechselt, Gläser getauscht, sie wurde ein Teil von mir.

Unlängst habe ich scherzhalber eine Computerbrille aufgesetzt, die aussieht, als würde sie aus zwei Bildschirmen bestehen und wäre aus Zeiten, als Computer nur in Rechenzentren standen und die Daten auf Magnetbänder auf großen Spulen speicherten. So eine Brille war das, ich gab das Bild auf Facebook und schrieb „Brillentest“ darüber.

Meine lieben Freund*innen machten den Test zum Kommunikationserfolg. Man folgte dem ersten Reflex und lobte mehrheitlich. Es war nichts zu lesen, nichts zu denken, ein Bild, ein Klick, ein lustiges Spiel, alle waren freundlich. Ich freute mich meiner Freunde, wusste, dass ich diese Brille nie tragen würde und dass das Spiel „Aussehen a la Raumpatrouille Orion“ viele unterhalten hat.

 

Das Oktogon

Jetzt als neue Gläser gefragt waren, wurde zuerst die Achteck Brille renoviert (die Tages- und Nachtbrille, die dunkel wird, wenn die Sonne scheint) sie ist aber als einzige Sehhilfe ein Risiko – wenn sie kaputt geht, werde ich z.B. zum nicht-lesen-könnenden Analphabeten. In die Ferne sehe ich halbwegs, aber eine Reservebrille zu haben scheint angeraten, schließlich muss man ja dauernd irgendetwas lesen…

Ich entschied mich also für eine Brille, die mehr aushält, praktisch so viel kann wie eine Sonnenbrille, den Wind abweist bei Schi-, Roller- oder Radfahren, aber auch hell wird, wenn es dunkel ist, aufklart gewissermaßen. Womit wir wieder bei der Aufklärung wären in Zeiten der Verwirrung und Verdunkelung. Ablenkung täte gut.

Also zurück zum alten Spiel ich mache noch einen „Brillentest“ auf Facebook. Schaue vor einem hellerleuchteten Elektronostalgie-Schaufenster eher finster durch die gerade hellen Brillen mit der dunklen Fassung. Das Spiel funktioniert wieder. Riesen Echo, große Teilnahme. Meine Flucht in die Oberflächlichkeit wird dankend angenommen. Von der Brille allerdings wird in vielen Kommentaren abgeraten. Zu hart, zu bürokratisch aussehend. Es tröstet mich ein Vergleichsbild von Jean-Louis Trintignant aus dem Jahr 1969, wie er im Film Z von Costa Gavras ausgesehen hat. Ein Freund hat es als Kommentar geschickt.

Finster schauen mit dunklem Brillenrahmen? Das müsste dann schon eine Sonnenbrille sein.

 

 

Das Widewitt-Prinzip

11.2.2021