rainer rosenberg

 

genug gefragt

 

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Sterben in gekrümmter Zeit

 

Genau an dem Tag, an dem der Tod des Mitteleuropäers Erhard Busek bekannt wird, erhalte ich die Nachricht vom Erscheinen eines neuen Buches des Mitteleuropäers Claudio Magris auf Deutsch: „Gekrümmte Zeit in Krems“ (aus dem Italienischen von Anna Leube) bei Hanser. Vor fast drei Jahren habe ich hier darüber geschrieben.

In letzter Zeit habe ich viel an die beiden – Busek und Magris – gedacht, jeweils in Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, der mich viel über die Unterschiede zu den jüngsten Kriegen am Balkan nachdenken ließ. Als der Krieg, der mit der Aufteilung Jugoslawiens endete, begann, saß ich zufällig mit Claudio Magris im Café Ritter in der Mariahilferstraße in Wien.

 

Schockiert im Café Ritter

Beide schockiert, der gefeierte Wissenschaftler und Autor, Spezialist für die europäische Literatur besonders im Donauraum, Kommentator italienischer Politik im „Corriere della Sera“, darin von ähnlicher Bedeutung wie sein Vorgänger Pier Paolo Pasolini, literarischer Autor und ich, der ihn als Radiojournalist kennengelernt hatte. Wir sprachen über die „einzige“ – wenn auch unmögliche „pazifistische Option“ und fühlten uns wie vor den Kopf geschlagen…

Als ich später mehrfach Sarajewo besuchte, kam dieses Gefühl immer wieder auf. Zerschossene Häuser, Rundfunkkolleg*innen, die von gefallenen Kollegen erzählten und auf die entsprechenden Fotos an der Pinnwand des Büros deuteten. Gegenüber des Hauses, in dem ich meine ersten Lebensjahre verbrachte, klaffte eine Baulücke – ein Bombentreffer, erzählten die Eltern, auch „unser“ Haus wurde im Zweiten Weltkrieg von denselben Bomben halb zerstört. Auch an die Ruine des alten Dianabades in Wien kann ich mich erinnern.

 

Der Donauraum und Mitteleuropa

Nun also die Ukraine, sehr seltsame Kommentare, Ängste und Ratlosigkeit vielerorts. Und dann der Tod des langjährige Vorsitzenden des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa, der meine und unsere Arbeit bei „Radio Nachbar in Not“ während des Kosovokrieges so unterstützt hat, sich wirklich für die Dissidenten in Österreichs Nachbarländern und darüber hinaus schon lange vor 1989 eingesetzt hat. Das fällt mir noch früher ein als Erhard Buseks Vorsitz in der ÖVP oder seine Zeit als Vizekanzler. Im Gegensatz zu vielen anderen aber hat er gezeigt, dass man als Vizebürgermeister in Wien viel bewegen kann.

Ein Bild, das Wasser, draußen, Himmel, Boot enthält.

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Claudio Magris war mit seinem Werk „Der habsburgische Mythos in der modernen österreichischen Literatur“ schon sehr jung sehr bekannt geworden. Was als Dissertation begann, führte zu Weltruhm, und was nicht wissenschaftlich zum Ausdruck gebracht werden konnte, fand mit dem Schriftsteller Magris den Weg in die Literatur. Wenn nun der Verlag behauptet, die „Gekrümmte Zeit in Krems“ sei eines von Magris‘ besten Büchern, kann man dem schon allein deshalb zustimmen, weil ein Superlativ ja bald dahingesagt ist und Magris andere Werke ja nicht eifersüchtig sein können – das ohnedies schon gebrauchte Wort „Meistererzählungen“ ist ja nicht genug für eine Zeit, in der Superlative häufig als Verkaufsanreiz mehr zählen als Argumente. Circa drei Jahre hat es gedauert, bis dieses Werk auf Deutsch erscheint. Ich freue mich darüber, und seltsamerweise kommt es in ein anderes Europa als die italienische Erstausgabe. Covid, ein Krieg, Bomben fallen auf Lemberg, diese so mitteleuropäische Stadt ohne die der Habsburgermythos in der österreichischen Literatur nicht denkbar wäre. Lwiw der Ort zahlreicher Tragödien, ausgelöst durch europäische „Nachbarn“.

 

Arbeiten statt verdrängen

Mit meinen Studierenden arbeite ich gerade an kleinen Projekten, die mit dem Krieg in der Ukraine zu tun haben. Vielleicht hilft im Kleinen zu arbeiten, wenigstens den direkt Beteiligten, die ständig sehen müssen, wie gequält pazifistische Optionen überrollt werden.

Aber unsere Qualen sind Qualen zweiter Ordnung. Andere leiden unter Bombeneinschlägen und Schüssen der anderen - und wohl auch an denSchüssen, die sie selbst genötigt sind abzugeben.

 

PS: Habe heute einen Text von André Glucksmann aus dem Jahr 2005 gefunden. Er hat schon vor langer Zeit nahezu verzweifelt behauptet, man müsse Putins Kriegspolitik entschlossen entgegentreten. Am 29.1.2005 ist „Schlacht um Kiew“ in Le Monde erschienen.

PPS: Und das habe ich mir zu Claudio Magris‘ Buch vor drei Jahren gedacht:

Die gekrümmte Zeit in Krems

8.4.2019