rainer rosenberg

 

 

Hauptsache es rollt

 

 

Im Prägarten hat es begonnen.

31.8.2018

 

Radfahren ist Freiheit. Oder war es doch noch vor den ersten Versuchen mit dem Fahrrad, waren es die Erlebnisse mit dem Trittroller? Ich zog meine Kreise rund um den Wiener Hochstrahlbrunnen, der mich am Abend mit seiner bunten Beleuchtung höchst faszinierte. Es war ein seltenes Abenteuer, ging ich abends mit meinen Eltern zu diesem wunderbaren Nebenprodukt der Wiener Hochquellenwasserleitung. Er durfte nicht so hoch strahlen wie früher, erzählten sie - damit er das Denkmal der Roten Armee nicht verdecke… Dieses Denkmal war ein wenig einschüchternd für mich, außerdem war damals im dazugehörigen kleinen Park gerade ein Mord passiert. Am helllichten Tag drohten keine Gefahren, es war die nächste Grünfläche und ich durfte dort schon als gerade noch nicht Schulkind allein mit dem Roller im Kreis fahren. Eine frühkindliche Erinnerung: mit dem roten Blechtretauto hingefahren, Achsbruch an der Bordsteinkante. Mit dem blauen Roller war alles besser – Verlängerung der unsichtbaren Leine zu den Eltern bzw. Erweiterung des autonomen Aktionsradius. Ich durfte allein den Rennweg überqueren, nicht einmal meine vorsichtige Mutter hatte diesbezüglich zu viel Angst um mich. Und ich bekam meine kleine Mutprobe: aus irgendeinem Grund fiel ich direkt vor dem Denkmal während des Tretens aufs linke Knie, das rechte schliff am Schotter. Ich stürzte nicht, fuhr die Runde blutend fertig. Ging nach Haus. Dort gab es Schrecken, Verarztung und Trost. Und nach einer Woche war die Kruste vom Knie aufgegessen.

Etwas mehr als ein Jahr später durfte ich ein Kinderfahrrad ausprobieren, die Stützräder-Phase wurde übersprungen, das Gleichgewicht war noch nicht gefunden, aber jemand ganz Netter lief hinter mir her und hielt den Sattel und damit das Gleichgewicht. Ich trat so gut ich konnte in die Pedale, und plötzlich war ich frei. Ausgelassen, meinem eigenen Gleichgewichtssinn überantwortet. Im Prägarten, einem Fußweg entlang des Weidlingbaches in Klosterneuburg. Jahrelang habe ich mich dann da besonders wohlgefühlt. Außer wenn man am Ende des Weges die Schweine beim Fleischhauer ihre letzten Laute von sich geben hörte. Paradoxerweise war der Tierarzt in einem Haus um die Ecke…

 

Da sind wir nun ein paar Kilometer weiter. Wer genau hinsieht, kann auf dem Panoramaspiegel der Donau-Rollfähre Kor-/Klosterneuburg den Autor erkennen. Wieder die Geschichte eines Sturzes - deren es im Lauf der Jahre viele gab mit zweirädrigen Gefährten: Fahrrad, Moped, Motorrad, Roller. Und meistens war Eisen und Wasser beteiligt: feuchte Kanaldeckel zum Beispiel. Oder Straßenbahnschienen. Einmal war es ein Ölfleck auf Katzenkopfpflaster und einmal besonders exklusiv: die Schiene einer Rollfährenlandebrücke.

Mittelschulzeit, es galt die Prüfung für das Turn- und Sportabzeichen abzulegen. Schwimmen im Strandbad, Laufen am Sportplatz, und für das Radfahren sollte einige Male zwischen Rollfähre und Sportplatz gependelt werden. Die kleine Gruppe wendete bei der Anlegestelle, es regnete inzwischen, einer rutschte auf der nassen Schiene aus. Diesmal war mein Arm aufgeschürft, praktisch ein deja-vu gut 10 Jahre nach dem Hochstrahlbrunnen. Allerdings wurde weitergefahren. Ziel erreicht, alles bestens. Zum Zweiradfahren gehört stürzen, wie zur Kindheit und Jugend aufgeschürfte Arme und Beine. Man muss wohl fallen üben, um wieder aufstehen zu können.

Kann man Schifahren zum Rollen zählen, oder muss diese Reihe kurzfristig in „Hauptsache es rutscht“ umbenannt werden? Da galt es ungefähr zur selben Zeit auszuprobieren, wer länger Schuss fahren kann, bis er stürzt. Die Sicherheitsbindung war dankenswerterweise schon erfunden, leider hatte man noch Fangriemen an den Schiern und nicht wie heute Bremseinrichtungen. Damals wäre tatsächlich ein Sturzhelm hilfreich gewesen, so konnte es schon passieren, dass man nach einer Schussfahrt ein „Loch im Kopf“ hatte, immerhin die Schi gingen nicht verloren und Ärzte, die nähen können, gibt es nicht erst heute. Also auch hier: fallen und aufstehen. Als ich nach jahrzehntelanger Schifahrpause wieder das erste Mal richtig stürzte, fühlte ich mich wundersam erleichtert: es geht so wie früher, alles in Ordnung, ich habe das Stürzen nicht verlernt. Schon wieder eine Befreiung.

So wie vor drei Tagen: endlich - wie schon lange geplant - mit dem Fahrrad losgefahren, nicht übertreiben aber immer treten, nie den Freilauf nutzen, war die Devise. Erste Pause nach dreißig Kilometern. Bei derselben Rollfähre gibt es jetzt eine Imbiss-Station. Die Waldviertler Würste lagen dann für den Rest der Fahrt etwas im Magen…

 

 

Ich fahre - also um die Wette

13.8.2018