Warum
so ein langes Gesicht?
26.8.2018
Ja, wir fahren zu einem Witze-erzähl-Wettbewerb. Und das mir.
Die meisten Witze finde ich schlecht, zu oft scheinen sie mir zu ordinär,
geschmacklos, nicht lustig. Und im Kabarett? Da lachen meine Mitbesuchenden
fast immer an den falschen Stellen. Dort, wo ich traurig werde, wirklich gar
nichts zu lachen finde, dort brüllen sie los.
In dieser Aufführung ist es ähnlich. Sie lachen an den
falschen Stellen, an diesem Sommertag, diesem heißen 21. August. Dass auf der
Bühne der 20. August angeschrieben sein wird, weiß ich zu Beginn noch nicht. So
wie ich nicht weiß, dass Herr Grinstein an diesem 20.
August seinen 57. Geburtstag feiert. Unangenehm wirkt er auf den ersten Blick -
steht auf der Bühne in der tiefsten Provinz, muss den Abend bewältigen, krank
ist er sowieso, nicht erst seit er Krebs hat. Krank ist er seit seiner Geburt.
Die Umstände wollten es so. Was kann man sein, außer krank, wenn die Eltern,
das hinter sich haben, was mit zur Gründung Israels geführt hat. Was hier bei
den Salzburger Festspielen gezeigt wird, hat David Grossman zuerst in einem
vielbejubelten Roman der Öffentlichkeit geschenkt. Das lädt ein innezuhalten,
nicht nur zu sagen, oh, ich war im Theater, es war ergreifend. Oder: eine
bemerkenswerte Leistung des Hauptdarstellers (Samuel Finzi),
zweidreiviertel Stunden fast allein die Handlung tragen.
„Polnische Eisenbahner haben meine Mutter wochenlang im Zug
versteckt und als ihnen fad war…“- dann haben sie sie am Zielbahnhof abgegeben,
dort wo Mengele an der Rampe stand „rechts, links, links, links…“. „Rechts,
links, links, links“ vier Wörter, sie werden an diesem Abend ihren Widerhall
finden, und sie stehen - für was eigentlich? – Schicksal, Sadismus, einen
Zufall im Unglück?
Aber vor diesen Fragen muss man sich einmal den kranken Dov anhören, als Kind ist er auf Händen gehend seinem Karma
davongelaufen, aber als Stand-Up-Comedian in der Provinz, da zeigt er zunächst
einmal, wie unangenehm er sein kann. Penetrant, unhöflich. Verzweiflung macht
hässlich.
Da sitzt Du im „Republic“…
…und schaust dem Rüpel zu, hörst dem
Mitpublikum zu, wie es an den falschen Stellen lacht und dem Hauptdarsteller
brav folgt, wenn es passiv eine aktive Rolle im Rahmen der Publikumsaktivierung
des Entertainers spielt. Wir spielen also Radetzkymarsch beim Neujahrskonzert,
klatschen wie dort, ohne zu wissen wozu, und merken doch die Bedrohung. Ob der
Ort des Auftritts wirklich hinterste Provinz ist, bleibt fraglich, schließlich
gibt es in Netanja einen der schönsten Strände
Israels, hier leben 210 000 Menschen…
Soll man einen Roman gelesen haben,
bevor man die Verfilmung sieht? Man sieht etwas Anderes als man gelesen hat.
Und umgekehrt? Im guten Fall bekommt man ein zweites Abenteuer. Ein Vorschlag:
zuerst Volker Schlöndorffs „Verlorene Ehre der Katharina Blum“ sehen und dann
Böll lesen. Bei umgekehrter Reihenfolge würde wohl der eigene Film zerstört.
Und bei David Grossmans „Kommt ein
Pferd in die Bar“? Ich muss den Roman erst lesen, kann das Stück, das Dušan David Pařízek als
Dramatisierender und Regisseur zeigt aber nur empfehlen. Die erste Stunde muss
man durchhalten, dann hat man sich die Grundstimmung erkämpft, die Dovele Grinbergs Lebensgeschichte braucht. Dovele erzählt von seinem ersten Begräbnis. Abgeholt wird
er aus dem Jugendlager. Der Fahrer erzählt Witze, angeblich fährt er zu einem
Witze-erzähl-Wettbewerb der Armee.
Suggestion
& Ich-Verlust
Max Reinhardt, so wird in einem
Symposion in Leopoldskron berichtet, habe mit seinem
Theater „Suggestionen aufoktroyiert“, im Theater könne das Publikum gemeinsam
regredieren, verabschiede sich das Ich der Zusehenden, wie bei einer
Massenveranstaltung, wie sie jene organisiert haben, die den Begründer der
Salzburger Festspiele und Multitheaterdirektor vertrieben haben. Mit einer
Adaption seiner Methoden haben sie den Menschen nicht einen Spiegel
vorgehalten, sondern die dünne Schicht der Zivilisation zerstört, haben das
getan, woran Dovele Grinbergs Eltern fast komplett zu
Grunde gegangen sind, und er selbst leidet seit er lebt?
Vielleicht sind alle tot. Alle im
Bezugssystem des Jugendlichen, der von einem Soldaten nach Jerusalem gebracht
wird. Es ist jemand gestorben. Der Vater, die Mutter? Diese Information wurde
dem Sohn nicht gegeben, er prüft die Erfahrungen mit den Eltern, während ihm
Witze erzählt werden…
„Wer einen Menschen rettet, rettet
die ganze Welt“. Wenn jemand stirbt, sterben dann – umgekehrt - alle? David
Grossman hat 2006 einen Friedensappell unterschrieben, kurz darauf starb sein
Sohn als israelischer Soldat im Südlibanon. Ein Universum ging verloren. Diese
reale Tragödie lässt sich nicht verdrängen, wenn man sich mit „Kommt ein Pferd
in die Bar“ beschäftigt. Denn es wird auch ein Universum fehlen, wenn der nicht
sehr sympathische Dovele seiner Krankheit erliegen
sollte. Wer erzählt eine Geschichte? Der Autor, der Bearbeiter, der den Roman
zum Bühnenstück macht, die Schauspieler, die Aufnahmefähigkeit, die
Erinnerungen und Assoziationen des Publikums?
Die „Reise nach Jerusalem“, das ist
das Kinderspiel, bei dem bei jedem Durchgang immer ein Sessel entfernt wird,
der oder die letzte bekommt keinen Platz mehr und scheidet aus. Der junge Dovele wird nach Jerusalem gebracht und kann sich Witze
anhören. Obwohl er zum Begräbnis muss, obwohl die Geschichte seiner Eltern
horribel ist, obwohl Israel die Rettung hätte werden sollen und jetzt – sagt Dov Grinstein in seiner
Weltanklage auf der Bühne - nur mehr zwei Generationen Zeit hat, die Verhältnisse
in Ordnung zu bringen. Man sieht sein Gesicht in Großaufnahme, blutend, Pitz
erkennt ihn, der sie anpöbelt und auf die Bühne zerrt. Dreimal hatte sie ihn
getroffen in der Kindheit, heute war sie im Publikum, in Netanja
und in Salzburg.
Noch ein Handstand. Ein Strauß Rosen.
Dekor. Und geeignet zum sanften Nachwerfen, auf Menschen, denen die Aufführung
unangenehm wird, sie gehen, als wäre ihr Gehen inszeniert. 1000 Rosen.
Ach ja, der Witz:
Kommt ein Pferd in die Bar und
bestellt ein Bier - fragt der Barkeeper: warum so ein langes Gesicht?
Ab 5.9. am Akademietheater in Wien:
Kommt ein Pferd in die Bar von David Grossmann,
dramatisiert von Dušan
David Pařízek. Mit Samuel Finzi
und Mavie Hörbiger.