rainer rosenberg

 

 

genug gefragt

 

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Inzwischen ist sie 97

 

9.10.2018

 

Gerade hat mich Melanie Berger-Volle, die auf dem Bild als junge Frau in Marseille zu sehen ist, aus ihrem Wohnort St. Etienne in Frankreich angerufen. Die gebürtige Wienerin hatte gestern ihren 97. Geburtstag, und aus diesem Anlass hat Ö1 die „Menschenbilder“-Sendung mit ihr wiederholt - die Porträtierte berichtete von zahlreichen Anrufen und fragte sich, wie denn die Menschen ihre Telefonnummer in Frankreich herausbekommen hätten. Ich habe auch keine Ahnung – wir sind auf Melanie Volle-Berger gestossen, weil die damalige Direktorin Susanne Keppler-Schlesinger des Österreichischen Kulturforums in Paris uns auf die ehemalige Widerstandskämpferin aufmerksam gemacht hatte, als ihr im Jahr 2015 das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich vom damaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer überreicht wurde.

Mit 16 Jahren ist Melanie Volle-Berger 1938, vor 80 Jahren aus Österreich vor den Nazis nach Belgien geflohen, in Antwerpen arbeitete sie trotz ihres Status als illegale Ausländerin für die Auslandsorganisation der Revolutionären Kommunisten. Bereits als 15-Jährige hatte sie begonnen, für die Partei zu arbeiten; Treffpunkt der Anhänger/innen der verbotenen Partei war ein Nacktbadestrand in der Wiener Lobau. In einem Interview erzählte sie einmal, dass sie ihre ersten politischen Diskussionen wohl nackt begonnen hätte...

1939 ging Volle-Berger nach Paris, wo sie ihre Tätigkeit im Widerstand als Verbindungsfrau zwischen den unterschiedlichen Stützpunkten zwischen Antwerpen, London, Zürich und New York fortsetzte. 1942 wurde sie wegen der Verteilung von deutschsprachigen Flugblättern verhaftet und wegen "kommunistischer und anarchistischer Aktivität" zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Zwei Jahre verbringt sie in einem Gefängnis in Marseille, lernt Französisch, bis sie mit Hilfe einer österreichischen Widerstandsgruppe fliehen kann. Sie nimmt mit der französischen Widerstandsbewegung Kontakt auf und setzt ihr Engagement in der Resistance nun mit falschen Papieren und unter wechselnden Namen fort.

Nach der Befreiung lebt sie zunächst staatenlos in Paris und wird 1947 französische Staatsbürgerin. Nach ihrer Scheidung kehrt Melanie Berger nach Österreich zurück, lebt bei ihren Eltern und lernt hier den Journalisten Lucien Volle kennen, der führend in der Resistance tätig war. Nach 10 Jahren in Wien gehen die beiden als Ehepaar zurück nach Frankreich, nach Drancy.

Melanie Volle-Berger arbeitet dort im Gemeindeamt, ihr Mann engagiert sich in der ANACR, der nationalen Vereinigung der ehemaligen Widerstandskämpfer/innen. Nach der Pensionierung übersiedelt das Ehepaar 1982 in die Haute-Loire und widmet sich bis zum Tod von Lucien Volle der Erinnerungsarbeit. Melanie Volle-Berger, die von sich sagt, dass sie bereits als Kind immer rebellisch war, ist viel als Zeitzeugin in Schulen unterwegs - für ihre unermüdliche Arbeit wurde ihr 2013 die Ehrenlegion, der französische Verdienstorden, und 2015 das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich verliehen.

Unter dem Titel "Damit bin ich nicht einverstanden" haben Petra Herczeg und ich die Resistance-Kämpferin porträtiert – überrascht hat sie die Frage, ob sie bei so viel Widerspruchsgeist auch ja sagen könne.

Die Antwort: „Ich kann auch ja sagen, absolut, für gute Sachen sage ich ja… Das Leben ist fantastisch, ja sage ich zum Leben.“

 

Froh muss man sein…

20.9.2018