Wann
beginnt ein Lebenswerk?
19.12.2018*
Bei Kurt Langbein könnte es der Tag gewesen sein, als jemand
etwas auf seine Schule gemalt hatte. „Raus mit Prügellehrern“ oder so ähnlich
hatte der Satz gelautet, der da zu lesen war, so ungefähr um den Sommer von
1968 oder 1969 dürfte es gewesen sein. Und als erster als verdächtig galt nicht
der eine oder andere Maturant, der nach der Prüfung euphorisch ein Zeichen des
Widerstandes gesetzt haben könnte, sondern der damals etwa 15-jährige Kurt.
„Der Kommunistenbub“, sagt er heute. Die Geschichte seiner Familie, besonders
seines Vaters hatte ihn eingeholt, obwohl ihn die Eltern davor beschützen
wollten.
Auch wenn der Vater in den 1960er Jahren ein wesentlicher
Zeuge im Frankfurter Ausschwitz Prozess, er war – nachdem er als Spanienkämpfer
an Nazi-Deutschland ausgeliefert wurde – zunächst in den Konzentrationslagern
Dachau, dann in Auschwitz, wo er Teil der internationalen Widerstandsbewegung
war, und in Neuengamme interniert, nach dem Krieg war der Kommunist einer der
Gründer des „Internationalen Auschwitzkomitees“. Hermann Langbein schrieb über
seine Erfahrungen das Buch „Die Stärkeren. Ein Bericht aus Auschwitz und
anderen Konzentrationslagern“, hatte nach dem Ungarnaufstand 1956 schwere
Konflikte in der KPÖ und wurde 1958 aus der Partei ausgeschlossen.
Diese Welt wurde von Kurt eher ferngehalten und dann –
angesichts eines Grafitti, mit dem er nichts zu tun
hatte – begann, so erzählt er, die Politisierung.
Bei Claus Gatterer
Er studierte Soziologie, war einer der Arenabesetzer, lebte
in einer politisch orientierten Wohngemeinschaft, und begann seinen
journalistischen Weg 1978 als Mitarbeiter im von Claus Gatterer
geleiteten „teleobjektiv“ – 1980 erhielt er den Dr.
Karl Renner Förderungspreis. Langbeins Themen waren die frühen „Klassiker“
gesellschaftlichen Engagements der
Nach-1968 Zeit: Missstände in Kinderheimen, die bis heute nicht
ausreichend aufgearbeitet sind, wie die nun wiederaufgegriffenen Fälle in Tirol
zeigen, Missstände in der Psychiatrie der Verein für demokratische Psychiatrie
entstand in dieser Zeit – und Missstände in Haftanstalten, die ja traditionell
ein Ort sind, an dem Menschen sehr viel Glück und Ich-Stärke brauchen, um tatsächlich
mit besseren Chancen die Institution zu verlassen, die sie ja „bessern“ soll.
Dies trifft auf all die Einrichtungen zu, mit denen sich Kurt
Langbein in seiner frühen journalistischen Phase beschäftigt hat – eben
Kinderheime, Psychiatrie, Gefängnisse – er hat dazu beigetragen, dass man, wenn
man nur wissen wollte, wusste, was sich hinter den Toren staatlicher
Einrichtungen abspielte, die vorgeblich zur Unterstützung von Menschen mit
Problemen da waren. Erst Jahrzehnte später wurden die evidenten Vorwürfe – man
denke nur an die „Heimkampagne“ linker Jugendlicher, an die Untersuchungen von
Irmtraut Karlsson – aufgegriffen, wurde über die seelischen Traumata und
körperlichen Verletzungen der Kinder und Jugendlichen gesprochen, die Staat,
Kirche und deren Institutionen hervorgerufen haben. In der WG lebte übrigens
auch eine Kollegin, die durch einen dummen Zufall ebenfalls in ein
Fürsorgeerziehungsheim gekommen war – sie hat es immerhin zur
Soziologieprofessorin an der Uni gebracht…
Aber ich schweife ab – wer sich in Österreich mit der
Geschichte der Psychiatrie beschäftigt kann auch nicht die Ereignisse im
Nationalsozialismus ignorieren und nicht nur der Erziehungsstil in den Heimen
war von dieser Zeit geprägt, es gab auch Traditionslinien bei den Menschenversuchen
in die Nachkriegszeit – Pharmakonzerne verwendeten unter eifriger Mitarbeit
österreichischer Ärzte besonders wehrlose Kinder als Versuchspersonen. Claus Gatterer, Gründer des Teleobjektivs und früher Weggefährte
Gerd Bachers und Langbein berichteten, der ORF entzog seinen Mitarbeitern in
der darauffolgenden rechtlichen Auseinandersetzung den üblichen Rechtsschutz
und so mussten die Journalisten auf sich allein gestellt gewinnen.
Bittere Pillen
Aus dieser Auseinandersetzung entstand mehrerlei – Langbein
wurde als Freier Mitarbeiter auf einer neu
gegründeten Liste Betriebsrat und begann sich als Autor gemeinsam mit KollegInnen mit der Pharmaindustrie auseinanderzusetzen.
Das Kompendium „Bittere Pillen“ wurde ein Dauerbestseller und
hatte insgesamt eine Auflage von mehr als zweieinhalb Millionen Exemplaren.
1989 wechselte Langbein vom ORF als Ressortleiter zum „profil“, war weiterhin Teil des Autorenkollektivs der
„Bitteren Pillen“ und erweiterte sein thematisches Spektrum auf Sozialstaat,
Kinder, Lebensqualität.
Vom Recht auf Hoffnung
1992 machte er sich selbständig und gründete mit Christian Skalnik die multimediale Agentur Langbein & Partner,
schrieb Bücher, produzierte Filme und ging das Thema Gesundheit – auch aus
persönlicher Betroffenheit - von einer ganz anderen Seite an. In seinem
„Weißbuch Heilung“ beschäftigte er sich mit Bereichen, in denen die moderne
medizinische Wissenschaft ansteht.
Die gerade vergangenen Jahre waren geprägt von einer
Beschäftigung mit dem Thema „Landraub“ und mit Wegen, wie die Menschheit
jenseits globaler Konzepte überleben kann – Kurt Langbein wandte sich mit „Zeit
für Utopien“ gangbaren Modellen zu, die Nachhaltigkeit und Miteinander vor
Ausbeutung und Kapitalgewinn stellen.
Kurt Langbein – ich wage es zu sagen – ist ein braver Sohn,
sein Vater kämpfte gegen den Faschismus, für eine Revolution und das Überleben,
er musste das Scheitern seiner Ideologie erkennen und ließ sich in seiner Suche
nach Gerechtigkeit und Auseinandersetzung mit den erlittenen Verbrechen nicht
entmutigen.
Der Sohn konnte den journalistischen Weg gehen, genauso auf
der Suche nach Gerechtigkeit und auch in Auseinandersetzung mit mächtigsten
Interessen. Zum Erfahrung sammeln mit Kollektiven brauchte der Sohn keine
Partei, was früher ein Autorenkollektiv war wurde zu einer Produktionsfirma für
Medien, aber die aufklärerische Auseinandersetzung mit der Welt ist nach wie
vor das Thema.
„Jeder hat ein Recht auf Hoffnung“ sagt Kurt Langbein und
lächelt, und berichtet, dass er jetzt an einem Film über seines Vater Buch „Die
Stärkeren“ arbeitet.
Es ist festzuhalten: ein Lebenswerk endet nicht, wenn jemand
einen Preis dafür erhält, es geht weiter.
Lieber Kurt Langbein, alles Gute für die weiteren Projekte
und speziell für die Auseinandersetzung mit der Geschichte mit der Dein Vater,
seine Generation, unsere und auch die folgenden wahrscheinlich mehr verbunden
sind als uns lieb ist.
Es wird uns fast täglich demonstriert.
*
Laudatio auf
Kurt Langbein, anlässlich Dr. Karl Renner Preis für das Lebenswerk 2018