rainer rosenberg

 

 

genug gefragt

 

Grandissima colpa

17.1.2019

 

 

Da gerätst Du in Deinem seltsamen Lieblingsland in einen Gottesdienst. Die Kirche in einem ehemaligen Fischerdorf – prächtig aber baufällig – erinnert sofort daran, welche Opfer arme Dorfbewohner allerorten bringen mussten, damit die Macht (Gottes, der Kirche, des Staates) mild gestimmt werden konnte. Mild weniger für das Leben hier, sondern das Leben dort, wo es zwar in den unterschiedlichsten Mythen der Menschheit weitergeht, wofür es aber keinerlei rational belegbare Hinweise gibt.

„Ohne Gott sind wir nichts“ sagt der Priester in der Predigt und das erinnert auch an ein Facebook Fundstück von gerade erst: „Der Ort der Religion ist der Mensch. Wenn man religionsfreie Räume schafft, heißt das, wir wollen menschenfreie Räume schaffen.“ Ein Islamwissenschaftler wird da zitiert*, der Religion nicht für eine Privatsache hält aber immerhin für eine persönliche. So persönlich eben, wie es der Umgang mit herrschenden Lehren sein kann, und das sind ja tatsächlich keine privaten Fragen, sondern politische.

 

Von Gedanken, Worten und Werken

„Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken … durch meine übergroße Schuld“ so sprach der Priester in meiner Kindheit, ich klopfte mir an die Brust und wusste nicht, was das Ritual bedeutet. Und um mich ein wenig schuldig fühlen zu können, nannte ich bei der ersten Beichte meine Sünden nach dem Beichtspiegel. Z.B. „ich war ungehorsam“. Ungefähr wusste ich ja, was das Wort bedeutet – z.B. trotz der Aufforderung „gerade sitzen!“ weiterhin mit gekrümmtem Rücken beim Tisch zu sitzen.

Die Gedankensünde blieb auch nach 1970 im offiziellen Text, als die „übergroße“ Schuld durch „große“ Schuld ersetzt wurde. Aber „grandissima colpa“ – italienisch klingt das viel näher als der Text im ritualisierten Deutsch. Und dann sagt der Priester noch „ohne Gott sind wir nichts“, was im Umkehrschluss nahelegt „glaubst du nicht an Gott, bist du nichts“. Klingt im großen Kirchenbau glaubwürdig, angesichts der Pracht bleibst du sowieso ein Zwerg.

Allerdings machte der Papst dieser Tage Mut: die Heuchelei mancher Katholiken – am Sonntag christlich tun, unter der Woche unchristlich handeln – kritisierte er scharf und dann kam dieser Satz: „Wie oft haben wir gehört, dass Leute sagten, wenn diese Person ein Katholik ist, ist es besser, ein Atheist zu sein“**. Atheismus vs. Heuchelei – was soll einem da als Stellvertreter Christi lieber sein, und was als Oberhaupt einer Institution mit vielen weltlichen Aspekten?

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Seit tausenden Jahren versuchen die Menschen ihre unbeantworteten Fragen auszulagern und entwickeln dafür die unterschiedlichsten Religionen, oft auf rational nicht begründbaren Offenbarungen basierend.

 

Gibt es einen Himmel voller Geigen?

Und auch wenn es keine Hinweise gibt, warum Religionen irgendetwas mit real existierenden höheren Instanzen zu tun haben sollten, immerhin als Funktionär der Lehre von Gott kann man zu einigem Ansehen kommen. So kann z.B.  – nächstes Erlebnis im seltsamen Nachbarland – ein Sarkophag im mächtigen Dom aufgestellt werden, der einen Bischof preist, der gewagt hat, der Lehre Roms zu widersprechen.

möwe 3

Wir sind im Dom der Welthauptstadt des Geigenbaus – nicht nur Stradivari wird hier gefeiert, sondern auch der Mann mit der Bischofsmütze, Geremia Bonomelli, Bischof von Cremona ab 1871 in den Jahren nach der Gründung des italienischen Staates und dem Ende des Kirchenstaates rund um Rom. Zuerst anonym, später unter seinem Namen, kritisierte Bonomelli die vatikanische Politik. Pius IX hatte den italienischen Katholiken die Teilnahme an demokratischen Wahlen verboten, dies hielt der Bischof für politisch und spirituell schädlich, später, 1905, sollte er auch in der laizistischen Gesetzgebung in Frankreich Vorteile für die katholische Kirche finden – ganz im Gegensatz zum Vatikan. Dass er sich speziell mit der Situation Millionen italienischer Auswanderer am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts beschäftigte, wirft ein bemerkenswertes Licht auf die Gegenwart, denn nach seinem Tod, im Faschismus, musste die von ihm gegründete Hilfsorganisation für Emigranten ihre Tätigkeit einstellen. Der faschistische Staat und die katholische Kirche anerkannten einander allerdings in dieser Zeit mit den Lateranverträgen. Das Verhältnis zwischen Kirchenvertretern und Funktionären des Staates ist derzeit auch in Italien oft angespannt – auch wenn die Regierung mehr Kreuze in der Öffentlichkeit sehen will.

 

Wann beginnt ein Lebenswerk?

19.12.2018

 

*https://derstandard.at/2000095506853/Islamwissenschafter-Die-Aufklaerung-ist-nicht-die-Loesung-aller Probleme?ref=article&fbclid=IwAR0KcC9JhNofSCUs1VuWVvOWMODpl5PRO5bV3x46NvxV858O55qLwDs1p68

**https://religion.orf.Aat/stories/2827549/