rainer rosenberg

 

 

genug gefragt

 

Die gekrümmte Zeit in Krems

 

Krems, ausgerechnet hier an der Donau lässt Claudio Magris seine Geschichte von einem gefeierten Intellektuellen aus Triest spielen. „Il tempo curvo a Krems“ – nicht ganz eine Woche vor seinem 80. Geburtstag am 10. April ist die Sammlung von fünf Erzählungen erschienen, in denen die Protagonisten mit dem Alter zu tun haben. Eine dieser Auseinandersetzungen spielt in Krems, wo eine Frau auftritt, die sich an den jugendlich gewesenen Teilnehmer eines Kafka Kongresses erinnern will, er aber behauptet er hätte sie nie getroffen…

Das Altern und die Zeit sind Themen des Buches, Wahrnehmung und Erinnerung, wie fünf moderne Fausts setzen sich die Figuren mit der Existenz auseinander, lese ich über das Buch, das noch nicht auf Deutsch erschienen ist.

 

Ironisch und grausam

Es geht um die Interpretationen der großen Fragen des Seins, das kann ironisch und grausam sein, melancholisch und scharf. Die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen, nicht nur in der Literatur sondern auch im Alter, wenn Zukunft nur mehr ein sehr relativer Begriff ist – schließlich, so sagt Magris, geht es dem Geschriebenen wie den Menschen „die Seiten werden alt wie die lebendigen Dinge, sie bekommen Eselsohren, verknittern, werden runzelig. Wie meine Haut.“

Mehrere Gespräche und Treffen mit Claudio Magris führten zu den Menschenbildern, die nun anlässlich seines 80. Geburtstages am vergangenen Sonntag auf Ö1 zu hören waren (und noch bis Sonntag auf oe1.orf.at abzurufen sind).

Meine Beziehung zu Magris begann mit einem ersten Treffen anlässlich einer Preisverleihung in Wien, Gespräche über das Leben in Triest in den 1980er Jahren noch vor dem Fall der Mauer folgten, ein Treffen in Ratlosigkeit in Wien, gerade als der Balkankrieg ausbrach und mit Petra Herczeg eine Fahrt nach Triest ins Caffè San Marco, dort wo nicht nur der Intellektuelle gerne sitzt sondern auch in Öl von der Wand schaut und als die Schließung drohte, eine Rettungsaktion initiierte. die dazu führte, dass nun auch eine Buchhandlung in den Räumlichkeiten untergebracht ist.

 

In den Nebeln von Vergangenheit und Zukunft

Fast könnte man glauben, die Donau hätte sich mit ihrem Lauf geirrt und sie hätte noch einen Umweg machen müssen, um zumindest mit einem Arm in der Nähe von Triest in die Adria zu münden, das würde auch zu Magris passen, hätte vielleicht die bis in die Gegenwart Krieg führenden Menschen zusätzlich verbunden, sodass sie auf manchen mörderischen Irrsinn verzichtet hätten … im KZ San Sabba auf Triestiner Boden sowieso (woran Magris in seinem zuletzt erschienenen Roman „Verfahren eingestellt“ erinnert), aber auch am Balkan.

Claudio Magris untersucht Realitäten und reichert sie mit Literatur an, mit Poesie, mit Tragik (auch wenn davon schon immer genug vorhanden war), er wird am 10. April 80 Jahre alt und hat sich bis heute die Perplexität erhalten, die ihn jung erscheinen lässt, so wie damals, als seine Kollegen beim Militär gesagt haben, sie hätten das Buch seines Vaters  in der Auslage gesehen. Aber es war nicht der Vater, der den „Habsburgischen Mythos in der modernen österreichischen Literatur“ geschrieben hatte, es war der Wehrdiener Magris.

Jetzt sind also fünf Erzählungen zum Alter auf Italienisch mit einem Österreich Bezug und die Artikel-Sammlung „Schnappschüsse“ auf Deutsch erschienen.

Antonio Debenedetti schrieb im Corriere della Sera über das neueste Buch:

„Statt der Zukunft, die die Protagonisten der Erzählungen kaum mehr betrifft, befragen sie mehr oder weniger bewusst ihre Vergangenheit und ihre Erinnerungen. Eine Vergangenheit, der hinzugeführt wird, die reich ist an Unbekanntem, Emotionen, so als könnte sie eine Zukunft sein, eingetaucht in den Nebeln der Zufälle. Eine Vergangenheit gewissermaßen, die erst geschehen muss.“ Der Journalist und Schriftsteller Debenedetti weiß, wovon er schreibt, er hatte vor knapp zwei Jahren seinen 80. Geburtstag.

 

 

Kein Labor Europas

14.2.2019