rainer rosenberg

 

 

genug gefragt

 

 

 

 

Wenn Möwen sich auf Tauben stürzen

Text hören

 

Paolo Rumiz, der weitgereiste italienische Journalist und Schriftsteller bemerkt in seinem Essay über die Lage in Triest, dass Möwen und Tauben in seiner Stadt hungern. Er sieht es von seinem Balkon, mit dem Blick über den Hafen und über den Großteil der Stadt. Er konstatiert, dass jetzt von slowenischer Seite ein neuer Vorhang aufgebaut wird, so wie es früher der eiserne war, der hier, in dieser multikulturellen Stadt; tendenziell ziemlich durchlässig war, in diesem Dreiländereck wo gerne über die gerechte Verteilung des Meeres gestritten wird.

Dann kommt die Meldung, dass EU-Länder Lieferungen von Hilfsmaterial nach Italien beschlagnahmen, um den Eigenbedarf zu decken, und man fühlt sich erinnert an die Zeiten des Kuenringers Hadmar des Dritten, der Schiffe auf der Donau mittels einer eisernen Kette angehalten haben soll, um sie zu berauben. Doch nicht freier Warenverkehr, damals nicht und heute auch nicht.

 

Da will ich lieber weg…

… und lese Rumiz‘ feine Beobachtungen. Das Grobe, das, womit sich meiner Meinung nach Menschen disqualifizieren, drängt sich ohnedies genug ins Bewusstsein.

Apropos Italien: ich habe Angelo zu spät zum Geburtstag gratuliert, aber immerhin in seiner Muttersprache, obwohl er in Österreich lebt. „Italienisch zählt doppelt“ schrieb er als Antwort und schickte ein Ergebnis seiner Leidenschaft: ein Foto, wie ich im Rennauto zufällig einmal kurze Zeit vor einem eigentlich schnelleren Kollegen war…

Dieses zweifelhafte Hobby mit alten Autos schnell im Kreis zu fahren, liegt ja zur Zeit darnieder: das erste Rennen der Saison wäre demnächst in Italien gewesen, das zweite sollte in Brünn sattfinden, aber für Tschechien wurde ja gerade eine mehrmonatige Einreisesperre für Ausländer angekündigt, damit sind die April Termine vorbei.

Und wahrscheinlich wird so schnell auch in Österreich nicht „alles gut“: Wir sitzen zu Hause, machen uns Gedanken über andere, uns selbst und die Welt. Finden neue Gründe, immer schon recht gehabt zu haben, und lesen Artikel von einem Zukunftsforscher oder mit einem Bischof, die erstaunlich ähnlich klingen: „alles wird gut“ ist jeweils das Motto, und ob die Botschaft ist, dass sich Gott nicht von den Menschen abgewendet hätte, oder dass die Corona-Krise dazu führen würde, dass in Zukunft endlich Prioritäten den Notwendigkeiten entsprechend gesetzt würde, es klingt ähnlich. Reinhard Fendrich singt aus Polizeilautsprechern und wirkt laut berichtenden Medien gerührt, während der alte Clash Fan an police on my back“ denkt.

 

Pop, Rock und Polizei

Dabei ist die Originalversion eigentlich von den Equals aus dem Jahr 1967. Im Moment besteht, meine nicht ich allein, kaum ein Grund, gegen das Gesetz aufzubegehren, bei den Gesetzgebern scheint mehr Vernunft zu walten als an vielen anderen Orten der Gesellschaft, aber man sollte den anderen Clash song („I fought the law) dennoch im Hinterkopf behalten, auch wenn der Text sagt „and the law won“. Schon 1966 gab es das Lied gespielt von The Bobby Fuller Four geschrieben hat es Sonny Curtis für seine Band

The Crickets (1959), also nicht allzu lange nach der McCarthy Ära…

Es mussten übrigens erst die Dead Kennedys kommen, um aus dem Lied fast eine Hymne für erfolgreiche Anwälte zu machen, denn sie änderten den Text auf „I fought the law, and I won. Wobei diese Interpretation von der Rechtsanwaltskammer zweifellos zurückgewiesen würde: Anwälte sind ja Diener des Rechtsstaates und verhelfen höchstens dem unrechten Recht zur gerechten Niederlage.

 

Aber hier soll es nicht um Recht und Rechthaberei gehen und auch nicht um Polizei und Popmusik. Also folgt einThemenwechsel:

Ich arbeite seit einiger Zeit an einem Aufsatz über „Evidenz“, den ich bei einer medizinischen Konferenz vorstellen soll, wenn sie denn stattfindet, und währenddessen kommt die super Evidenzkrise daher. Wo wäre sie denn, die Evidenz, in der Corona-Krise?

Wie so oft muss entschieden werden, bevor man weiß, was Sache ist, weil nur eines sicher ist: bis man weiß, was richtig ist, ist es zu spät. Darüber beklagt sich zum Beispiel ein Statistik-Professor aus Stanford sehr beredt am Beispiel der anfänglichen COVID 19 Politik in Großbritannien: „In the absence of data on the real course of the epidemic, we don’t know whether this perspective was brilliant or catastrophic.“ So ist es in der Politik, Maßnahmen greifen in die Zukunft ein, ohne dass ausreichend Expertise zur Verfügung steht.

Mark Twain, Karl Valentin, Niels Bohr

oder Winston Churchill?

„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“ – allein, dass dieses Bonmot Mark Twain, Karl Valentin, Niels Bohr oder auch Winston Churchill zugeschrieben wird, scheint bezeichnend – ich habe es zuerst von einem Forscher am Institut für Technikfolgenabschätzung der Akademie der Wissenschaften gehört, und das passt auch ganz gut dazu.

Keine Gewissheiten als conditio humana, das ist weder eine neue noch eine originelle Feststellung. Helge Torgersen, der oben genannte Forscher, hat mir noch eine Story über Niels Bohr, den großen dänischen Physiker erzählt: Bohr, so heißt es, hatte ein Hufeisen über dem Hauseingang hängen, und soll – als er gefragt wurde, ob er, der große Physiker, denn glaube, dass ein Hufeisen Glück bringe – einen Satz gesagt haben, der fast zur Diskussion über Evidenz passt: „Selbstverständlich nicht. Aber es soll auch dann helfen, wenn man nicht daran glaubt!“.

 

Eskapismus und kleine Idyllen

Kein Wunder, dass gerade jetzt Menschen auf ihre kleinen Idyllen setzen; man glaubt an die Verlässlichkeit seines Radiosenders und ist entsetzt, wenn bei Ö1-Kulturjournal abgesetzt wird, man klatscht und singt um 18h, man schickt Fotos, die ablenken von den Sorgen. Ich habe gerade einen italienischen Papierbastelbogen aus „La Repubblica“ verschickt, freue mich, wenn Steve Winwood seinem Hund etwas auf dem Klavier vorspielt und führe jetzt noch ein bisschen Italienisch als Solidaritätsaktion ein:

#tuttoandrabene
Sto chiedendo alle persone che sono amanti di motorsport di unirsi alla sfida di pubblicare una foto della loro auto da corsa. Solo una foto, nessuna descrizione. L’obiettivo è quello di innondare FB di foto positive di auto da corsa al posto di negatività.
Per favore copia il testo nel tuo stato, posta una foto della tua auto da corsa 🏎 e guarda delle belle foto.
Un saluto

 

Um den Wunsch zu erfüllen, nehme ich Angelo Polettos Foto, und zeige die gewünschte Autoszene, denen, die so etwas gernhaben, möge es gefallen. …tutto andra bene!

 

Dankesehr!

Grünoase

25.2.2020