rainer rosenberg

 

 

genug gefragt

 

 

 

Musikarbeiter

Text hören

 

„Unterwegs“ – das ist ja jetzt in Zeiten des Homeoffice eher ein Reizwort. Man kann Fantasiereisen machen, Reisen in die Vergangenheit und es gibt glückliche Situationen, in denen sich Vergangenheit und Gegenwart treffen. Gestern zum Beispiel brachte der Briefträger zwei Packerl – eines davon kam aus Neuhofen an der Ybbs, wo der Zeuys Verlag daheim ist.

Rainer Krispel hatte das Buch schon angekündigt, und anders als in seinem ersten Buch aus dem Jahr 2012 „Der Sommer als Joe Strummer kam“ geht es hier um eine  Sammlung von Texten, die Krispel in den letzten 15 Jahren in der Wiener Straßenzeitung Augustin veröffentlicht hat – mit Fotos von Mario Lang.

Wahre Geschichten aus dem Leben der Popkultur also diesmal, kein Roman eines in die Jahre gekommenen Punks aus Linz. Damals stand in der Ankündigung im Falter dieses Zitat:

"Es wird so etwas wie der kleine österreichische Punkroman, ich probiere gerade auf eine Art, wieder 20 zu werden. Und das nicht aus der Distanz abzubilden und zu sagen: Ja, nachher wird man eh vernünftiger. Sondern es geht um dieses Gefühl, dass man wirklich an der Welt rütteln will. Ich habe einmal in meinem Leben erlebt, dass es Jahre gibt, von denen ich als ‚wir' spreche, und genau das möchte ich einfangen."

 

Wenn ich heute jemanden „wir“ sagen höre, dann frage ich (mich oder die entsprechende Person) zuallererst, wer denn mit diesem „wir“ gemeint sei. Und meistens scheint es mir abgrenzend, oder vereinnahmend, oder präpotent, indem irgendwer in ein Wir einbezogen wird, das es gar nicht gibt.

 

Einmal war die Jugend „wir“

Und persönlich, aus meiner Erfahrung? Je älter ich werde, desto kleiner werden die „wirs“.

Mit dem Aufkommen der Popkultur in den 1960er Jahren entstand ein wir, das sich unter anderem daraus speiste, dass für „uns“ knapp Vierzehnjährige die zwei Radiosender des Österreichischen Rundfunks nicht genügten, auch wenn ab und zu in „Autofahrer unterwegs“ die Beatles gespielt worden sind, oder wenn bei der ersten Live TV-Satelliten-Übertragung eben diese Beatles die Weltpremiere von „All you need is love“ feierten… hier trafen sich im Jahr 1967 Popkultur und Technologie – kein Platz für Dystopien. Es war die Zeit für einen Aufbruch in ein globales „wir“.

 

                                                                                                             Foto: NASA

 

Und auch deshalb versuchten wir in der Nacht über Mittelwelle die Radiosender zu finden, die „unsere“ Musik spielten. Die Musik einer imaginierten Jugend der Welt. Wie lang dauerte diese Phase, in der die Kämpfe zwischen Beatles und Rolling Stones Fans Derby-Charakter hatten wie Rapid gegen Austria. Im schlimmsten Fall ging es um Revierkämpfe zwischen Mods und Rockers also auch um Lifestyle Fragen zwischen Parka und Lederjacke, Lambretta vs. BSA, oder Vespa vs. Triumph. Aber Unzufriedenheit und Wut wuchsen, schnell war die Jugendkultur nur mehr ein wunderbares Verkaufsargument geworden, die neuen Ausdrucksformen waren schnell gekapert. Virgin war das Plattenlabel der Sex Pistols (ja und auch Mike Oldfields) und ist heute ein Mischkonzern mit Schwerpunkt auf Flugunternehmen und auch privater Raumfahrtfahrt.

Und ich habe doch das Gefühl, so wie es das Match zwischen Beatles und Stones gab, könnte es gerade noch Derbies zwischen Sex Pistols und Clash Fans gegeben haben. Das war aber die Zeit, in der die Popkultur spätestens in unterschiedliche Stämme zerfallen ist, im besten Fall gab es „friedliche Koexistenz“ zwischen den Strömungen, ein desinteressiertes Nebeneinander, keinen Mainstream einer weltumspannenden Jugendbewegung.

 

Das Ende des Mainstreams…

Womit wir zum eigentlichen Thema zurückkommen. Zu Rainer Krispel, der mir - ich gebe es zu - sehr spät aufgefallen ist: als er 2012 sein Buch „Der Sommer als Joe Strummer kam“ veröffentlichte, und ich mir dachte, als früher Clash Fan muss ich das unbedingt lesen (schließlich war ich beim berühmten Konzert der Band im Porrhaus in Wien, am 2. Oktober 1977, das beendet wurde, weil irgendjemand vom Haus den Strom abgedreht hatte. Es war angeblich das erste Punk-Konzert in Österreich.)

Eigentlich war das für mich vor allem eine Rückkehr zu den Wurzeln: einfacher, super vitaler Rock, der als grundsätzliche Haltung Widerstand gegen etablierte Systeme leistete, so wie es immer essenzieller Bestandteil einer nur ein wenig politischen Popkultur war. Liebeslieder soll es auch geben, aber ich fand immer Musik uninteressant, die uninteressante Texte hatte (Was unterscheidet eigentlich „Schifoan“ von manchem Gabalier-Lied? Eigentlich nur, dass es bei Ambros auch den „Hofer“ gab, „Gsöchta“ oder „Tagwache“ – Resignative und auch aggressive Texte).

The Clash waren jung und aggressiv, weniger autoaggressiv als andere Punkbands und unterwegs, den Rock’n‘Roll zu erneuern, das geht nicht unpolitisch, das geht nicht ohne Opposition, das geht nicht ohne “links“. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang, dass Punk und „Anarchy in the UK“ in der Zeit eines Labour-Premierministers entstanden und Margaret Thatcher erst nach dem Ende der Sex Pistols Premierministerin wurde.

 

Punk in Linz

Rainer Krispel war Punk, in der alternativen Musikszene in Linz und Wien verwurzelt und hat in reiferem Alter die „Clashinistas“ gegründet, mit denen er die Erinnerung an seine Idole wachhält. Mir ist er aber das zweite Mal mit einem gänzlich anderen Musikprojekt aufgefallen: als ich nämlich eine „Für immer jung“ Version gehört hatte, die er gemeinsam mit Ernst Molden (Gibt es übrigens bei Pumpkin Records) aufgenommen hatte. Ich wollte, dass die beiden anlässlich einer Preisverleihung Christine Nöstlinger zu Ehren dieses Lied spielten – ich erreichte Krispel am Telefon, er stellte sich als Nöstlinger Fan heraus, sagte zu und brachte Gottfried Gfrerer zur Feier mit und es gab Dylans „Forever Young“ fein auf Wienerisch. Danach lud ich die beiden noch für meine bislang letzte Live-Radiosendung ein und sie spielten als letztes Lied live „Should I stay or should I go“ – es passte ziemlich gut zum Unterschied zwischen sollen und müssen…

 

                                                                                                  Videostill: Videokarl

 

„fieling und gruuf“

Rainer Krispel und Mario Lang, Fotograf, Musiker und „Spielertrainer“ des Chors „Augustin Stimmgewitter“ haben nun also den Kolumnensammelband „Musikarbeiter unterwegs“ herausgebracht, dafür wurden Texte und Fotos aus 15 Jahren ausgewählt und speziell für Menschen, die nicht jeden „Augustin“ gelesen haben, zusammengestellt. Musikarbeiter – Ernst Molden erklärt den Begriff im Vorwort so: „ein täter aus liebe: wo man singt da lass dich nieder. seine welt regiert, wie man in alten wiener proberäumen sagte ‚des fieling und die gruuf‘“ Als Beispiel für „Musikarbeit“ möge ein Stimmgewitter Auftritt in der Arena (Krispel war nicht nur jahrelang Booker für das Chelsea, sondern auch 2015 und 2016 Obmann des Betreibervereins der Arena) dienen. Ganz ohne Clash geht es auch diesmal nicht, obwohl das Lied viel älter ist, Krispel und Lang sind da jedenfalls gemeinsam auf der Bühne, so wie sie das auch sind, wenn sie Teil der Band „Die Rio-Reiser“ sind. Da gibt es viel Gelegenheiten zum Gedenken im Proberaum des Lebens.

Mein erster Gedanke vor dem Lesen des Buches war, dass ich mich gefragt habe, wie weit ich zwischen 2005 und 2020 von der beschriebenen Szene entfernt war, und deshalb bin ich zunächst das Inhaltsverzeichnis durchgegangen. Zufrieden finde ich viele gemeinsame Bekannte. Besonders freue ich mich über diesen Satz über Ronald Iraschek aus dem Jahr 2011: „Ist Wolfgang Ambros der Großglockner einer fiktiven österreichischen Popgeschichtsschreibung, so ist Ronnie Urini/Rocket ihr Mount Everest.“ Ronnie hatte mit „the Vogue“ einmal sogar einen Hit auf Ö3 („Frozen seas of Io“) und spielte mit der „Rucki Zucki Palmencombo“ (kommt auch im Buch vor) sogar auf Festen des Senders, aber das ist lange her – zuletzt las ich von ihm in „meinbezirk.at“ unter der Überschrift „Hainburg in der Ratschkygasse“. Ronnie kämpfe um die Zimmerpflanzen im Stiegenhaus, die wegen Brandgefahr entfernt werden sollten, eine der Absurditäten des Sicherheitswahns, dem wir ausgesetzt sind.

Laut Bericht durften die Blumen bleiben, was für ein Erfolg für den Schlagzeuger der Palmencombo und eine der wildesten Schlagzeuger Wiens.

Die „Musikarbeiter unterwegs“ zeigen vielfach den Kampf ums Überleben, ein Thema das der Straßenzeitung Augustin sehr nahe liegt. Der liebe Augustin hat die Pestgrube überlebt. Auch ein Trost in Corona-Zeiten.

 

Buch: Rainer Krispel, Mario Lang: Musikarbeiter unterwegs.

Ausgewählte Texte und Fotos 2005-2020, Zeuys Books, Neuhofen/Ybbs.

Und noch ein Hinweis: hier liest Rainer Krispel liest einzelne Stories vor.

 

Wenn Möwen sich auf Tauben stürzen

22.3.2020